Prof. Dr. Hans Schmid

Prof. Dr. Hans Schmid

Prof. Dr. Hans Schmid (*9.8.1935, †4.4.2010) war von 1970 bis 2000 Dozent bzw. Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der HSG. 1987 gründete er das HSG-Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht und war bis 2000 dessen Direktor. Von 1972 bis 1984 war Prof. Dr. Hans Schmid als Nationalrat tätig und von 1984 bis 1996 Mitglied der Eidg. Bankenkommission und des Nationalen Forschungsrates (Vizepräsident von 1997 bis 2000). Durch die Verbindung von Wissenschaft und Politik suchte Hans Schmid ökonomische Erkenntnisse – v.a. in den Bereichen Arbeitsmarkt, Armutsforschung und Sozialversicherungssysteme – mit dem Ziel einer sozialeren Gesellschaft auf politischer Ebene umzusetzen. Zuletzt war er Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie und Präsident der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter (UBA) Ostschweiz. Prof. Dr. Hans Schmid beantwortete im Gespräch mit Christian Dueblin Fragen zu seinem neuen Buch ‚Kirchen im Wettbewerb – Kirchen mit Zukunft‘. Praktische Überlegungen eines Aussenseiters, LIT – Verlag, Münster (Westfalen) 2007.

Dueblin: Herr Schmid, wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Landeskirchen?

Prof. Dr. Hans Schmid: Es ist allgemein bekannt, dass die christlichen Landeskirchen in Europa unter Mitgliederschwund leiden und dass auch die noch verbliebenen Mitglieder die kirchlichen Angebote sehr spärlich benutzen. Besonders deutlich zeigt sich das am schwindenden Gottesdienstbesuch. Ich habe schon vor Jahren das Gespräch mit Verantwortlichen der Landeskirchen gesucht und gefunden. Alle Gesprächspartner waren mit meiner Diagnose einverstanden, dass den modernen Menschen das kirchliche Angebot, wie es in Gottesdiensten zum Ausdruck kommt, im Gegensatz zu früher nicht mehr genügt. Ich erinnere mich noch gut an die 1940er und 1950er Jahre. Damals waren die Kirchen auch an gewöhnlichen Sonntagen meist voll besetzt. Kirchenaustritte gab es höchstens vereinzelt. Heute ist die Situation umgekehrt. Die regelmässigen Kirchgänger sind eine ständig geringer werdende Minderheit. Kirchenaustritte sind eine Alltagserscheinung. In meinen Gesprächen stellte ich regelmässig die Frage: Was tun Sie, um diese Entwicklung aufzuhalten? Die meisten Gesprächspartner beantworteten die Frage gar nicht, weil sie ratlos waren. Einige wiesen auf die Veranstaltungen hin, welche die Kirchen ausserhalb des Gottesdienstes anbieten. Erwähnung fand auch die kirchliche Sozialhilfe (Diakonie). Solche verdienstvollen Betätigungen ändern aber nichts am Umstand, dass die Landeskirchen Gotteshäuser verkaufen müssen, weil sie nicht mehr gebraucht werden.

Dueblin: Welche Lösungsansätze sehen Sie?

Prof. Dr. Hans Schmid: Dieser Erosionsprozess ist offensichtlich nicht eine vorübergehende Erscheinung. Das zeigt schon der Umstand, dass er seit etwa 40 Jahren anhält und keine deutlichen Signale erkennbar sind, die auf eine Wende hinweisen. Ich begann mich daher zu fragen: Muss es wirklich sein, dass ausgerechnet in unserer Generation die christliche Kirche, die – wie die Religionsgeschichte zeigt – gewaltige Stürme und Verfolgungen erlebt und überstanden hat, still und leise von der Bildfläche verschwindet? Ich bin nicht Theologe und mische mich daher nicht in theologische Fachgespräche ein. Ich bin Ökonom und habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass seit der zweiten Hälfte der 1990erJahre in den USA eine Fachrichtung ‚Economics of Religion‘ im Entstehen begriffen ist. Zudem gibt es in den USA keine staatlich unterstützten Landeskirchen. Alle dortigen Kirchen sind Freikirchen. Diese haben es insgesamt fertig gebracht, dass der Gottesdienstbesuch wesentlich höher ist als in Europa. Es war für mich daher naheliegend zu prüfen, ob und allenfalls was wir von den Amerikanern lernen können. Ich sah auch bald, dass die Forschungsergebnisse von Economics of Religion in Europa noch weitgehend unbekannt sind und dass hier das amerikanische Freikirchensystem bisher weder theologisch noch ökonomisch aufgearbeitet worden ist.

Dueblin: Ist Ihr Buch ein Aufruf an die Landeskirchenverantwortlichen, sich vermehrt auch aus ökonomischer Sicht mit der Entwicklung in ihren Kirchen zu befassen?

Prof. Dr. Hans Schmid: Ja, denn die skizzierten Probleme liegen nicht im theologischen Bereich, sondern sind grösstenteils wirtschaftlich erklärbar. Die biblische Botschaft ist für mich, aber wohl auch für viele aus den Landeskirchen Ausgetretenen unbestritten. Wenn wir davon ausgehen, dass die geschilderte Entwicklung in Zukunft anhält, werden die Landeskirchen bald zur Bedeutungslosigkeit absinken. Eine Reaktivierung ist dann ausserordentlich schwierig. Das zeigt die Situation in den neuen deutschen Bundesländern. Anzeichen dafür sind auch in den skandinavischen Staaten vorhanden.

Dueblin: Welche Rolle spielt die staatliche Privilegierung der Landeskirchen?

Prof. Dr. Hans Schmid: Der Staat gewährt den Landeskirchen die Steuerberechtigung und hilft beim Steuerbezug tatkräftig mit. Dieser Umstand führt dazu, dass die Pfarrer und Pfarrerinnen keinen Anreiz haben, den Gottesdienst so zu gestalten, dass ihn die Kirchgänger und Kirchgängerinnen als sinnstiftend empfinden. Sie haben auch keinen Anreiz, mit dem Kirchenvolk Kontakte zu pflegen. Das zeigt schon das fast völlige Verschwinden der Hausbesuche durch die Pfarrpersonen.

Dueblin: Was machen die Freikirchen besser?

Prof. Dr. Hans Schmid: Gut geführten Freikirchen gelingt es, ihr kirchliches Angebot, soweit der Gottesdienst zur Diskussion steht, so zu gestalten, dass der Kirchenbesuch die Mitgliederzahl um ein Mehrfaches übersteigt. Obwohl die Freikirchen teilweise als extrem konservativ verschrien werden, verstehen sie es, im Gottesdienst gekonnt elektronische Hilfsmittel einzusetzen. Sie pflegen auch Kontakt mit den Gottesdienstbesuchern, so dass diese sich in ihrer Kirche heimisch fühlen.

Prof. Dr. Hans Schmid, Kirchen im Wettbewerb, ISBN 978-3-8258-0829-7

Prof. Dr. Hans Schmid, Kirchen im Wettbewerb, ISBN 978-3-8258-0829-7

Dueblin: Warum können das die Freikirchen in der Regel besser als die Landeskirchen?

Prof. Dr. Hans Schmid: Weil sie starke Anreize zu einem ‚kundengerechten‘ Verhalten haben. Die wirtschaftliche Existenz der dortigen Pastoren hängt entscheidend von der Gottesdienstgestaltung ab. Wenn diese nicht befriedigt, wechseln die Besucher zu anderen Freikirchen. Ob die Landeskirchen es wahr haben wollen oder nicht: Wenn die von den Landeskirchen dem Staat zu zahlenden Erhebungskosten der Kirchensteuer höher sind als das Kirchensteueraufkommen, lohnt es sich nicht mehr, eine Kirchensteuer zu erheben. Dann werden die Landeskirchen mit den Freikirchen vergleichbar. Sowohl diese wie jene sind gezwungen, sich aktiv um Mitglieder zu bemühen und sie zufrieden zu stellen. Ob es dann noch vom Staat finanzierte theologische Fakultäten an den Universitäten gibt, muss hier offen bleiben. Tatsache ist, dass die Freikirchen ihre Pastoren an eigenen Schulen ausbilden und die Studierenden sehr weitgehend selbst für die Ausbildungskosten aufkommen. Die meisten von ihnen unterziehen sich dieser Ausbildung, weil sie eine Berufung zur Verkündigung des Evangeliums verspüren. Diese trägt entscheidend dazu bei, dass sie nach Abschluss ihrer Ausbildung sinnstiftende Predigten halten und Kontakt mit den Mitgliedern pflegen.

Dueblin: Gibt es auch Grenzen des kirchlichen Wettbewerbs?

Prof. Dr. Hans Schmid: Ja. Trotzdem ist die zu erwartende intensivere Konkurrenz auf dem religiösen Markt erwünscht. Sie muss sich jedoch innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens, der den Kerngehalt der religiösen Freiheit nicht beeinträchtigen darf, abspielen. Zur freien religiösen Betätigung gehört das Recht der Religionsanbieter und ihrer Vertreter, sich für die Menschenwürde einzusetzen. Sie sind aber auch verpflichtet, das Recht auf Menschenwürde konsequent zu beachten. Das gilt für die Behandlung ihrer Mitglieder und Mitarbeitenden sowie der Konkurrenten. Voraussetzung eines wirksamen Wettbewerbs ist die Transparenz der Märkte und der Zugang zu für die Meinungsbildung relevanten Informationen. Die Sicherung dieser grundlegenden Anforderungen ruft nach einer öffentlich-rechtlichen Kirchenaufsicht mit dem Recht und nötigenfalls der Pflicht, durch Verfügungen Rechtsverletzungen zu ahnden und den rechtmässigen Zustand wieder herzustellen. Da der religiöse Bereich das Empfinden vieler Menschen berührt, sollte diese Aufsichtsbehörde, die Kirchenkommission heissen könnte, ausserhalb des politischen Spannungsfeldes arbeiten. Sie müsste mit anderen Worten regierungsunabhängig und somit keinen Weisungen der Regierung unterworfen sein.

Dueblin: Sehr geehrter Herr Schmid, ich bedanke mich im Namen von Xecutives für dieses Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

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– Neuerscheinung 2007: Hans Schmid: Kirchen im Wettbewerb – Kirchen mit Zukunft, ISBN 978-3-8258-0829-7

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