Prof. Dr. Hans Peter Beck

Prof. Dr. Hans Peter Beck

Prof. Dr. Hans Peter Beck, 1965, studierte Physik an der Universität Zürich und ist seit 2006 Dozent am Physikalischen Institut der Universität Bern. Seit 1997 arbeitet er, nach mehrjährigem Forschungsaufenthalt am Deutschen Elektronen Synchrotron DESY in Hamburg, auch am CERN (European Organization for Nuclear Research). In seiner Habilitationsschrift „Trigger and Data–Acquisition in the ATLAS Proton–Proton Experiment at the Large Hadron Collider” setzte er sich profund mit Teilchenphysik auseinander, und damit, wie beim ATLAS-Experiment die Daten ausgelesen und selektioniert werden müssen, um seltene Ereignisse wie bspw. das Higgs-Teilchen finden zu können. Prof. Dr. Hans Peter Beck gehört einem internationalen Team von Physikern an, die im Rahmen des ATLAS-Programms (A Toroidal LHC ApparatuS) mit Protonen-Kollisionen dazu beigetragen haben, die schon lange vermutete Existenz des Higgs-Teilchens belegen zu können. Beck hat wichtige Beiträge zum Design und Bau des ATLAS-Detektors in der Daten-Akquisition und Ereignisselektion geleistet und war „Chair of the editorial board of the Higgs to four leptons analysis“ für ATLAS, eine der beiden Hauptanalysen zur Entdeckung des Higgs Bosons im Jahr 2012. Er leitet zudem die Teilchenphysik Sektion der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft und ist Co-Präsident der International Particle Physics Outreach Group (IPPOG). Beck hält Physikvorlesungen an der Uni Bern und hält auch die Teilchenphysikvorlesung an der Uni Fribourg.

Professor Beck erklärt im Anschluss an ein ausführliches Xecutives.net-Interview über die Geheimnisse der Teilchenphysik und über den Nachweis des Higgs-Teilchens am CERN in Genf die Bedeutung der unlängst in den USA gemessenen Graviationswellen, ein Umstand, den die Physik-Gemeinde im Februar 2016 in Aufregung versetzte. Professor Beck zeigt auch für Laien verständlich auf, was Gravitation bedeutet, was Schwarze Löcher bei der Erkennung der Wellen für eine Bedeutung haben und warum die Grundlagenforschung im Kleinsten, der Teilchenphysik, und Grössten, dem Universum, für die Menschheit von Bedeutung ist.

Xecutives.net: Sehr geehrter Herr Professor Beck, Sie haben unlängst an dieser Stelle vertieft Einblick in die Teilchenphysik gegeben und auch die Bedeutung des Nachweises des Higgs-Teilchens am CERN in Genf, an dessen Nachweis Sie ebenfalls beteiligt sind, erklärt. Aus den USA erreichte uns im Februar dieses Jahres die Nachricht, dass man in den Advanced-LIGO-Detektoren Gravitationswellen nachweisen konnte, ein Umstand, den die ganze Physik-Gemeinde in Aufruhr versetzte. Wie haben sie persönlich auf diese Erkenntnis reagiert?

Prof. Dr. Hans Peter Beck: Ich habe mich gefreut, dass es endlich, nach so vielen Jahren harter Arbeit und mit immer empfindlicheren und grösseren Geräten, einer internationalen Kollaboration gelungen ist, diese hochempfindliche Messung durchzuführen und den Nachweis dieser wahnsinnig kleinen Raum-Zeit-Wellen zu erbringen. Ehrlich gesagt, dachte ich als Aussenstehender dieser Community, dass ein Nachweis eigentlich gänzlich unmöglich sei.

Xecutives.net: Wir wissen, dass uns die Gravitation auf der Erde hält, uns anzieht. Sie ist jedoch verglichen mit anderen Kräften, etwa der elektromagnetischen, eine sehr schwache Kraft. Was ist Gravitation aber physikalisch gesehen und warum ist dieser Gravitationswellen-Nachweis von Physikern auf der ganzen Welt so enthusiastisch entgegengenommen worden?

Prof. Dr. Hans Peter Beck: Als Albert Einstein vor genau 100 Jahren, also 1916, seine „Allgemeine Relativitätstheorie“ (ART) veröffentlicht hatte, ist auch die Vorstellung der Gravitation als eine instantan wirkende Kraft zwischen zwei Massen revidiert und damit Isaak Newton’s Theorie quasi über den Haufen geworfen worden. Für relativ leichte Massen, die sich nicht allzuschnell gegeneinander bewegen, liefert die Newton’sche Gravitation zwar nach wie vor eine hervorragende Beschreibung der Kräfte, und zwar so gut, dass diese auch für komplizierte Raummissionen der ESA, NASA etc. problemlos angewendet werden kann. Sollen aber sich schnell bewegende, massereiche Objekte korrekt beschrieben werden, liefert nur die ART korrekte Resultate. Raum und Zeit müssen als eine Einheit betrachtet werden, die sich gegenseitig beeinflussen. Raum und Zeit sind je für sich genommen keine absoluten Grössen mehr. Insbesondere können sich Wellen durch die Raum-Zeit hindurchbewegen, wie sich auch Wellen durch einen Wackelpudding hindurchbewegen. Diese Wellen sind aber fast unmessbar klein, und bisher gab es bloss theoretische Vorstellungen, aus der ART abgeleitet, sowie indirekte Messungen von Doppelneutronensternsystemen. Zwei Neutronensterne, die sich mit hoher Geschwindigkeit umkreisen, strahlen Gravitationswellen ab, ähnlich wie zwei sich umeinander drehende elektrische Ladungen elektromagnetische Wellen abstrahlen. Oder noch einfacher ausgedrückt, ähnlich wie auch eine Handyantenne elektromagnetische Wellen abstrahlt. Diese Wellen tragen Energie weg, die im Fall des Doppelneutronensternsystems in einer Verlangsamung der Umlaufsperioden gemessen werden kann und auch schon seit Jahrzehnten nachgewiesen wurde.

Die Gravitation erscheint uns im Alltag als eine stark wirkende Kraft, in Tat und Wahrheit ist sie aber die schwächste der uns bekannten Wechselwirkungen. Kräfte zwischen Elementarteilchen im Innern von Atomkernen, oder elektromagnetische Wechselwirkungen sind um viele Grössenordnungen stärker. Es wäre schlicht unmöglich, auch nur den eignen Arm zu heben, wenn die elektromagnetischen Kräfte im Körper, die die Atome zu Molekülen binden und die die Muskeln zum Kontrahieren bringen, nicht über die Gravitation, die die ganze Erdmasse auf den Arm ausübt, dominieren würde. Mit dem direkten Nachweis, dass Gravitationswellen existieren, wurde so die ART noch einmal direkt gestützt und es wurde gezeigt, dass auch ein auf den ersten Blick hoffnungsloses Unterfangen mit viel Kleverness, Beharrlichkeit und in einer internationalen Kollaboration, die die Mittel und das Know-how aufbringen kann, gelingen kann. Weiter haben wir mit diesem Nachweis nun ein neues Instrument in der Hand, um tief ins Universum zu blicken. Gravitationswellen sind, genauso wie Lichtwellen und ganz allgemein elektromagnetische Wellen, Informationsträger derjenigen Objekte, die sie ausgesandt haben. Gravitationswellenastronomie wird so zu einem vollkommen neuen Forschungsfeld, von dem wir neue Erkenntnisse über das Universum erwarten dürfen. Auf diese sind wir natürlich gespannt!

Xecutives.net: Die gemessenen Wellen stammen aus einem Schwarzen Loch. Was wissen wir heute über diese Schwarzen Löcher und was verspricht man sich nun mit der neusten Entdeckung in Forscherkreisen?

Prof. Dr. Hans Peter Beck: Ein Schwarzes Loch ist ein massereiches Objekt, dessen Gravitationskraft so gross ist, dass nicht einmal Licht davon entweichen kann. Es scheint, dass im Zentrum einer jeder Galaxie, d.h. auch im Zentrum unserer Milchstrasse, sich ein Schwarzes Loch befindet, um welches sich die Sterne innerhalb der Galaxie drehen, so wie auch unsere Sonne. Schwarze Löcher können mit sehr wenigen Eigenschaften beschrieben werden. Sie haben eine Masse, eine elektrische Ladung und einen Eigendrehimpuls. Massen, die einem Schwarzen Loch zu nahe kommen, werden von diesem quasi verschluckt, wobei das Schwarze Loch an Masse zunimmt. Schwarze Löcher sind aber trotz allem nicht ganz schwarz, sondern strahlen die sogenannte Hawkingstrahlung in Form von Teilchenstrahlung ab. Diese ist jedoch für massereiche Schwarze Löcher extrem schwach, so dass sie noch nie direkt nachgewiesen werden konnte. Trotzdem, wenn man viele, viele, viele Milliarden Jahre wartet, verdampfen Schwarze Löcher schliesslich. Ein Doppelsystem zweier sich umkreisender Schwarzer Löcher hingegen, strahlt auch noch zusätzlich Energie in Form von Gravitationswellen ab. Wenn man nun diese nicht bloss nachweist, sondern richtiggehend vermisst, kann man so direkt auf Doppelsysteme Schwarzer Löcher blicken und so Schwarze Löcher auch sehen! Ganz klar, dass solche Aussichten mehr als faszinierend sind.

Xecutives.net: Albert Einstein hat die Existenz der Wellen vorausgesagt. Sein Ziel war es, eine welterklärende Formel, die alles umfasst, also auch die Gravitation, zu finden. Sind wir der von ihm erträumten vereinheitlichten Formel einen Schritt weitergekommen?

Prof. Dr. Hans Peter Beck: Nicht direkt. Eine einheitliche Theorie, d.h. ein umfassendes Verständnis des Universums, in welchem alle darin vorkommenden Kräfte einheitlich beschrieben sind, ist auch heute noch eine Knacknuss, die noch keiner lösen konnte. Trotz grosser Anstrengungen sind nur immer wieder kleine Schritte in die vermeintlich richtigen Richtungen zu verzeichnen. Daran ändert vorerst auch der direkt Nachweis von Gravitationswellen nichts.

Xecutives.net: Wir wissen eigentlich, was unser Universum anbelangt, nur sehr wenig. Man geht davon aus, dass es einen Urknall gab, sich das All ausdehnt und aus dem Sternenstaub in der Sternenküche Elemente entstanden sind. Was wissen wir heute mit Sicherheit und was wissen wir mit Sicherheit nicht, wenn wir ins All blicken?

Prof. Dr. Hans Peter Beck: Das ist auch eine philosophische Frage. Wir blicken mit unseren Instrumenten in die Weiten des Alls und in den Mikrokosmos hinein in die Welt der Elementarteilchen. Dabei zeigt sich, dass sich das Universum immer weiter ausdehnt. Wenn man dann zurückrechnet, kommt man schnell zum Schluss, dass alle Galaxien, Sterne und alle Materie ihren Anfang in einem sehr begrenzten Raum vor ca. 13.8 Milliarden Jahren genommen haben muss. Die Physik, die in einem so dichten und heissen Ur-Universum geherrscht hat, kennen wir sehr genau aus der Teilchenphysik. Mit dem LHC können wir die Physik, wie sie eine Millionstel einer Millionstel (10-12) Sekunden nach dem Urknall geherrscht hat, experimentell durchleuchten. Tatsächlich gehen heute so Kosmologie und Teilchenphysik, die historisch sehr unterschiedliche Gebiete waren, Hand in Hand. Die Erkenntnisse der Teilchenphysik sind unerlässlich, um das sehr frühe Universum zu begreifen. Die Elementarteilchen, wie diese miteinander wechselwirken und wie diese es ermöglichen, komplexe Strukturen in einem immer grösseren und dadurch auch kühlerem Universum zu bilden, die schliesslich in Sternen, samt Planeten und allem was sich auf Planeten zu entwickeln vermag, liefern so einen Schlüssel für ein tiefes Verständnis der Abläufe im Universum. Die Evolution ist so nicht ein Vorgang der auf unserer Erde seit ein paar wenigen Milliarden Jahren abläuft, sondern sie hat ihren Anfang vor 13.8 Milliarden Jahren genommen.

Xecutives.net: Ergeben sich aus diesen Teilchenmodell-Erkenntnissen und den neusten Erkenntnissen rund um die Gravitation auch wirtschaftliche Entwicklungen/Konsequenzen, beispielsweise in Form von Produkten, die unser Leben verändern könnten? Oder geht es um rein wissenschaftliche Grundlagenforschung, die für den Menschen und sein Leben im Alltag keine grosse Rolle spielen wird?

Prof. Dr. Hans Peter Beck: Erst einmal geht es ausschliesslich um Grundlagenforschung. Die Menschheit ist naturgemäss neugierig und will verstehen, wie das Universum funktioniert, wie es begonnen hat, wie es sich entwickelt und wohin es sich womöglich noch entwickeln wird. Die Erkenntnisse dieser Forschung haben auf alle Fälle eine tiefe Bedeutung zum Verständnis für das Universum und somit auch zum Verständnis, wer oder was wir in diesem Universum eigentlich sind.

Dies allein ist schon Grund genug, weiter zu forschen. Dass dabei auch neue Anwendungen und Technologien entstehen, ist tatsächlich nur ein nettes Nebenprodukt, das, wie sich bisher immer gezeigt hat, die Kosten, welche die Grossexperimente verursachen, um ein Mehrfaches wieder einbringt. Es scheint zudem, dass so fundamentale Fortschritte immer häufiger nur in grossen, internationalen Kollaborationen möglich sind. Dabei arbeiten Nationen aller Kontinente und Ethnien miteinander an einem gemeinsamen Forschungsziel, was für sich genommen auch eine reife Leistung darstellt und zeigt, dass Herkunft, Religion und anderweitige politische Hindernisse auf diesen Gebieten keine Rolle zu spielen brauchen, ein weiterer guter Grund, zukünftige Grossprojekte der Grundlagenforschung zu unterstützen.

Xecutives.net: Sehr geehrter Herr Professor Beck, ich bedanke mich herzlich für diese aufschlussreichen Erklärungen und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute bei Ihren Forschungsarbeiten!

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