Peter Schulz, 1929 in Basel geboren, studierte von 1948 bis 1954 Theologie an den Universitäten Basel und Marburg. Er war 12 Jahre im Pfarramt tätig, wurde Ende der Sechzigerjahre freischaffender Mitarbeiter von Radio DRS, dann Ausbildungsleiter Radio, später Radio und Fernsehen. Peter Schulz ist ein Medienpionier mit einem grossen kulturellen und unternehmerischen Leistungsausweis. Er hat in Luzern einen „Ökumenischen Filmkreis“ gegründet und wurde 1984 Gründungsdirektor des Medienaus-bildungszentrums (MAZ) in Luzern. Er setzte sich in den 90er Jahren vehement für eine Universität in Luzern ein, stand Pate bei der Gründung der Stiftung für eine internationale historische Alpenforschung und war selbst viele Jahre Lehrbeauftragter an den Universitäten Zürich und Basel für Radio- und Fernsehpraxis sowie 12 Jahre Ombudsmann der „Neuen Luzerne Zeitung“. Er gründete die Stiftung „Musikforschung Zentralschweiz“ und war sein ganzes Leben lang publizistisch tätig. Im Jahr 2006 schuf er den Verlag „Pro Libro“ in Luzern. Im Gespräch mit Christian Dueblin spricht Peter Schulz über die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten, die Boulevardisierung der Medien, sein Engagement in der Kultur und über das Nachdenken und die Sinnfrage im Leben.

Dueblin: Herr Schulz, Sie waren der Vordenker, Mitgründer und langjährige Direktor des Medienausbildungszentrums (MAZ) in Luzern, in dem bis heute über 500 Medienschaffende ausgebildet worden sind. Ich möchte mit dem MAZ und seiner Entstehungsgeschichte beginnen. Was veranlasste Sie, eine unabhängige Ausbildungsstätte wie das MAZ in Luzern aufzubauen? Was waren Ihre Beweggründe, sich mit Leib und Seele für dieses Projekt einzusetzen?

Peter Schulz: Als Ausbildungsleiter bei Radio und Fernsehen DRS vermittelte ich mit den besten Fachleuten aus Praxis und Theorie in Kursen und Seminaren die Zusammenhänge der Medienlandschaft und den handwerklichen Journalismus: Recherche, Sprechen und Sprache, Interview, Reportage usw. Es gab damals in der Schweiz nur die Ringier-Journalistenschule. Nur ein so grosser Verlag wie dieser und die mit Gebühren finanzierte SRG konnten sich eine Ausbildungsorganisation für Medienschaffende leisten. Die übrigen Medien hatten nichts Ebenbürtiges. Sie waren wenig organisiert und hatten nicht die nötigen Geldmittel. Meine Grundidee war deshalb, eine Institution zu schaffen, die von grossen Unternehmen unabhängig war und jeder und jedem offen stand, egal wo er arbeitete und welche Gesinnung er hatte. Die Unabhängigkeit eines solchen Institutes war eines meiner Hauptanliegen. Das führte später zur Stiftungsidee des MAZ.

Mein eigenes journalistisches Handwerk lernte ich beim Radio. Es galt damals für Neueinsteiger wie mich die Devise: „Learning by doing“. Wer beim Radio anfing, war von Anfang an auf sich selber gestellt und auf die guten Ratschläge der Kollegen angewiesen. Er wurde mit anderen Worten ins kalte Wasser geworfen. Es gab keine Einführungskurse für Anfänger, in denen Zusammenhänge und Handwerkliches vermittelt worden wären. Ich sprach deshalb im Studio Zürich mit dem damaligen Direktor Dr. Gerd Padel und fragte ihn, ob es denn keine Einführung oder Ausbildung für die Tätigkeit beim Radio gebe und verwies auf das Fernsehen, das damals schon sehr erfolgreich Schulungsprogramme durchführte. Dr. Guido Frei, der damalige Fernsehdirektor, wollte nämlich, dass die Volontäre systematisch auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Ich schlug Herrn Dr. Padel deshalb vor, beim Radio ebenfalls Schulungen zu organisieren, worauf er mir wiederum vorschlug, die Sache an die Hand zu nehmen und ein Ausbildungsprogramm zu erarbeiten (lacht), eine Herausforderung, die ich gerne annahm.

Viele Mitarbeitende beim Radio haben in der Folge irritiert reagiert. Sie meinten, ich würde ihnen jetzt in Seminaren und Kursen zeigen, was sie doch schon seit vielen Jahren am Radio machten. Das war aber nicht meine Intention. Meine Absicht war es lediglich, Volontäre und junge Menschen, die bei der SRG anfingen, nicht alleine diesem langen Weg des „Learning by doing“ zu überlassen, den ich selber hinter mich bringen musste. Sie sollten sich von Anfang an mit den wesentlichen handwerklichen Fragen theoretisch und praktisch beschäftigen. Dabei ging es zum Beispiel um Sprache und Sprechen, Recherche, Interview, Reportage, Moderation usw. sowie um so wichtige Fragen wie das Medienrecht, die Medienethik, die Medienwirkung und die Rolle der Medien in der Gesellschaft. Mein Ziel war es, um es kurz auszudrücken, den jungen Menschen die grundlegenden Techniken und die Zusammenhänge in der Welt der Medien aufzuzeigen.

Dueblin: Wie kam es schliesslich zur Gründung des MAZ in Luzern, einer Institution, die heute weit über die Schweizer Grenzen bekannt ist?

Peter Schulz: Es gab eine zweijährige Vorlaufphase für das MAZ, an der ich als Vertreter der SRG beteiligt war. Nebst mir waren damals auch Vertreter des Schweizerischen Zeitungsverlegerverbandes und des Verbandes der Schweizer Journalisten beteiligt. Ich brachte meine Erfahrungen in das Projekt ein und wurde dann als erster Direktor der Stiftung MAZ gewählt. Einen gewichtigen Beitrag leistete der damalige Generaldirektor der SRG, Leo Schürmann. Er war kurz nach dem Beginn seiner Tätigkeit bei der SRG Gast der Ringier-Schule gewesen und dadurch in einem besonderen Masse sensibilisiert. Er erkannte sogleich, dass die Idee eines unabhängigen Ausbildungszentrums für alle Medienschaffenden in der deutschen Schweiz sehr wichtig war und sorgte in hohem Masse für den Aufbau des Stiftungsvermögens und des Verständnisses bei Politik und Wirtschaft. Ohne ihn gäbe es das MAZ in der heutigen Form sicher nicht.

Dueblin: Manch ein Leser erwartet, dass er bei der Lektüre eines Artikels fundierte Erkenntnisse erlangt. Sind nicht viele Medienschaffende heute überfordert, weil man von ihnen will, dass sie unsere Probleme und Herausforderungen richtig erkennen und analysieren können?

Peter Schulz: Das ist eine gute Frage und ich erlaube mir, sie zweizuteilen. Ihre Frage betrifft zwei ganz verschiedene Bereiche des Journalismus. Da ist einerseits das Handwerk. Dieses ist gut vermittel- und erlernbar. Darin verhält es sich so wie beim Aneignen von Grundkenntnissen in anderen Berufen. Dann zielt die Frage aber auf einen andern Teil: das jeweilige Fachwissen. Wir sprechen vom Inhalt. Ein Journalist wird irgendwohin geschickt und soll beispielsweise ein Interview über eine Thematik führen, über die er nur wenig weiss und zu der er möglicherweise gar keine Beziehung hat. Natürlich wird er jetzt, so gut es geht und die Zeit es ihm lässt, seine Recherche betreiben und sich in die Thematik einarbeiten. Das kann dann bei einfachen Fragestellungen gut gehen. Voraussetzung ist dann auch noch, ob der Interviewte hilfreich ist. Grössere Redaktionen können sich für die wichtigen Bereiche wie Politik, Wirtschaft und Kultur Fachleute leisten. Darum habe ich in vielen Fällen immer wieder dafür geworben, dass ein angehender Journalist wenigstens in einem Fachbereich Grundkenntnisse mitbringt, also ein Fachstudium absolviert hat. Die Basis des Journalismus ist der Nachrichtenjournalismus. Die Kunst des Journalismus ist wesentlich die Kunst der Reduktion. Aber auch hier ist es unerlässlich, die Zusammenhänge zu verstehen und dem Leser zu vermitteln. Von niemandem kann man erwarten, dass er über alles Bescheid weiss. Darum ist das sogenannte Gegenlesen in den Redaktionen so wichtig, um Pannen zu vermeiden und eine annähernde Genauigkeit zu erreichen.

Dueblin: Die globalisierte Welt wird immer komplexer und es wird immer schwieriger, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Ich denke an die Wirtschaftskrise, an politische Herausforderungen, Kriege oder Umweltprobleme. Wissen allein reicht noch nicht aus, um über ein Thema sprechen und schreiben zu können. Braucht es nicht auch eine gehörige Portion Lebenserfahrung, um Sachverhalte richtig einschätzen zu können?

Peter Schulz: Das ist natürlich richtig. Deshalb muss ein Chefredaktor oder Vorgesetzter nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten und das Fachwissen berücksichtigen. Er muss abschätzen können, welcher Mitarbeiter für eine komplexe Frage die besten Voraussetzungen mitbringt. Dazu gehören dann Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Offenheit und Respekt dem Thema und den Personen gegenüber. Zum Glück gibt es viele freie Journalisten mit diesen nötigen Voraussetzungen. Es kommt sehr darauf an, wen ich wohin schicke! Die Medien wären nicht fähig, fundiert und qualifiziert zu berichten ohne diese vielen freien Mitarbeiter mit ihrem Fachwissen und ihrer Persönlichkeit. Nehmen Sie als Beispiel Arnold Hottinger, ein ausgezeichneter und lebenserfahrener Nahostexperte, der lange Zeit unter anderem für die „NZZ“ tätig war. Er ist oft für schwierige und komplexe Themen in dieser Region hinzugezogen worden und konnte glaubwürdig berichten. Findet man niemanden, der geeignet ist, so hilft das Interview mit einem Fachmann. Es bietet sich so die Chance, profunde Erkenntnisse zu erhalten. Ob man den richtigen Fachmann beizieht, ist dann noch eine andere Frage. Es ist aber wohl die beste Form, zum Kern einer Sache vorzustossen.

Dueblin: Ich habe zunehmend den Eindruck, dass die Medien nicht das bringen, was einzelne Mitarbeitende gerne bringen möchten. Vielmehr wird man den Verdacht nicht los, dass Journalisten darauf getrimmt werden, über das zu schreiben, was der grosse Teil des Publikums lesen möchte, egal ob die Qualität stimmt und das Thema sinnvoll ist oder nicht. Sehen Sie hier nicht die Gefahr, dass die wirkliche und seriöse Behandlung von Themen ins Hintertreffen gerät?

Peter Schulz: Jetzt muss ich eine Vorbemerkung machen. Wenn man an die Medien denkt, dann sprechen wir von Printmedien, Radio und Fernsehen. Wir müssen nun aber wissen, dass die beiden Systeme Printmedien und elektronische Medien in unserem Land ganz verschieden organisiert sind. Die Printmedien sind völlig dem freien Markt überlassen. Sie können morgen eine neue Zeitung herausgeben, wenn Sie die nötigen Finanzen dafür finden. Radio und Fernsehen dagegen sind durch unsere Verfassung geregelt. Da gibt es klare Auflagen! Das hat auch Folgen. Die Printmedien, der freien Marktwirtschaft ausgesetzt, müssen, um nicht unterzugehen, erfolgreich sein. Ihr Produkt muss, koste es was es wolle, verkauft werden! Der Verleger und die Aktionäre haben Geld investiert und wollen eine Rendite sehen. Was der Journalist will und was seine Meinung und seine Ideen sind, spielt eine untergeordnete Rolle. In den letzten Jahrzehnten sind viele Zeitungen verschwunden. Wo früher einmal vier waren, wie in Basel, ist es heute noch eine einzige. Und auch in Bern droht das Ende der Zeitung „Der Bund“. In anderen Regionen ist es nicht anders. Zürich bildet eine Ausnahme, weil der „Tagesanzeiger“ und die „NZZ“ ein ganz und gar verschiedenes Publikum bedienen und die „NZZ“ darüber hinaus die einzige Zeitung mit internationaler Ausstrahlung und ein Eliteblatt ist. Warum diese Entwicklung? Die Zeitungen verschwinden, weil die Inserate und damit die Einnahmen zurückgehen.

Doch zurück zu Ihrer Frage: Das Bedürfnis nach „Boulevard“ hat seit dem erfolgreichen Titel „Blick“ enorm zugenommen. Das zeigt sich auch in den neuen Gratiszeitungen. Kurzfutter und nicht Analyse ist gefragt. „Boulevard“ heisst, kurze Texte, viele Bilder, Personalisierung und Sensationalisierung der Themen. Das ist ein weltweiter Trend. Dies alles lässt sich gut verkaufen und bringt dann auch die Inserate für die Gratiszeitungen. Der Wunsch nach recherchierter Information, nach Pro und Kontra und nach Meinungsbildung geht massiv zurück. Grosse Teile des Publikums bevorzugen kurze Fakten und viel Fiktionales! Nicht die zuverlässige Information steht im Vordergrund, viel mehr das Unterhaltende und Prickelnde, das eben zum Gespräch auf dem Boulevard werden kann.

Dueblin: Es ist aber doch sehr interessant zu beobachten, dass das breite Publikum von vielen Themen sehr betroffen ist und sich doch eigentlich anders verhalten müsste. Nehmen wir mal das Beispiel Finanzkrise oder die AHV, Themen, welche die Bevölkerung interessieren müssten, weil sie selbst enorm und direkt betroffen ist. Sehen Sie keine Gefahr in dieser Entwicklung?

Peter Schulz: Die Gesellschaft hat eben immer wieder die Medien, die sie verdient. Und nun muss ich nochmals auf den Unterschied der Presse zu Radio und Fernsehen DRS kommen. Weil eben diese beiden elektronischen Medien einen breit abgestützten Leistungsauftrag haben, können sie diese vielen Themen ausführlicher behandeln, als es einem Grossteil der Presse möglich ist. Insbesondere bietet das Radio hervorragende Nachrichtensendungen und kommentierende Sendungen wie das „Echo der Zeit“, von DRS 2 ganz zu schweigen. Wenn die Zeiten wieder schwieriger werden, wie jetzt, dann wächst auch wieder das Interesse an zuverlässiger Information. Ich bin davon überzeugt, dass das Pendel wieder zurückschlägt. Die Medien sind eben auch immer ein Spiegel der Zeit. Dazu kommt, dass der Journalismus, den Sie sich wünschen und der mir auch mehr zusagt, schliesslich auch nicht unter allen Umständen bezahlbar ist. Bringt man nur noch Agenturmeldungen und wird nicht mehr selber recherchiert, dann hat das gravierende, negative qualitative Konsequenzen. Die verschiedenen Finanzierungsmodelle bewirken auch die Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen DRS und den Lokalradio- und Lokalfernsehunternehmen. Eine sonntägliche Sendung wie die „Sternstunden“ bei Fernsehen DRS wäre im Lokalfernsehen undenkbar!

Dueblin: Wir haben unser Gespräch mit der Gründung des MAZ begonnen. Ihr Lebenslauf rechtfertigt es, einige Blicke weiter zurück zu werfen. Ich erlaube mir, Ihnen zu unterstellen, dass Sie eine Art von kulturellem Untergrundkämpfer sind. Sie haben es in den letzten Jahrzehnten geschafft, viele Kulturzellen zu schaffen. So waren sie massgeblich an der Gründung der Universität Luzern beteiligt, haben einen Filmkreis mitinitiiert, haben Alpenforschungsprojekte unterstützt, Musikforschung angeregt und haben in jüngster Zeit den Verlag „Pro Libro“ gegründet. Das sind kulturell sehr hochstehende Projekte. Was ist Ihr innerer Antrieb, Ihr ganzes Leben für solche Projekte herzugeben?

Peter Schulz: (Lacht und überlegt längere Zeit) Ja, jetzt muss ich etwas ausholen. Ich glaube, was man ist, das ist man geworden. Wenn ich zurückschaue auf mein Leben, dann gab es einige wichtige Ereignisse, die mich sehr geprägt haben. Ich ging in den Dreissigerjahren in die Primarschule in Basel. Das war für mich anfänglich eine gute und glückliche Zeit. Es kam dann jedoch zum Zweiten Weltkrieg, der furchtbar für mich war. Ich muss Ihnen nun einen Einblick in meine familiären Verhältnisse geben. Mein Grossvater väterlicherseits war von 1908 bis 1928 Pfarrer an der Kirche St. Laurenzen in St. Gallen. Er kam aus Deutschland in die Schweiz. Er wurde zum Pfarrer gewählt und wurde Schweizer Bürger. Ich hatte sehr viele Verwandte in Deutschland. Die Eltern meiner Mutter lebten in Lörrach bei Basel. Meine Grossmutter mütterlicherseits war eine Secretan und kam aus Lausanne. Ihr Mann aber war Elsässer und Direktor einer Textilfabrik in Lörrach. Ich erzähle das, weil der Zweite Weltkrieg meine Familie völlig spaltete, was mich sehr traurig stimmte und mich sehr geprägt hat. Ich ging regelmässig mit meiner Mutter meinen Grossvater über die Grenze von Basel nach Lörrach besuchen. 1939 war die Grenze plötzlich geschlossen. Es ist heute nur noch schwer vorstellbar, aber meine Mutter musste spezielle Papiere beantragen, um ihren Vater zu besuchen. Später war ein Besuch nicht mehr möglich. Wir waren von unserer Familie in Deutschland getrennt.

Der Weltkrieg hatte mir also den Zugang zu meiner Familie abgeschnitten. Ich habe die Zeit erlebt, als auf der Mittleren Rheinbrücke in Basel noch Maschinengewehre stationiert waren. Die Not und das Elend, welche der Krieg mit sich brachte, haben mich schon als Kind sehr beschäftigt. Ich habe mir schon sehr früh überlegt, was wichtig und nicht wichtig ist. Konnte es sein, dass der Sinn des Lebens war, sich gegenseitig umzubringen und sich zuzubomben? Die Notzeit wirft einen Menschen zurück und macht ihn nachdenklich. Mein Philosophielehrer Karl Jaspers sprach in den Vorlesungen immer von der Erfahrung von Grenzsituationen. Diese führten gezwungenermassen zur Frage nach dem Sinn des Lebens. Wenn es gut geht und wir alles haben, dann rücken diese Fragen oft in den Hintergrund. Man stellt dann die Frage nach der Kultur, dem Sinn und den grösseren Zusammenhängen auf der Welt nicht mehr. Mir scheint, als hätten heute viele, vor allem junge Menschen, grosse Mühe zu unterscheiden, was sinnvoll ist und was nicht. Das mag sich bis hin zum Konsum von Medien auswirken.

Ich habe diese Grenzerfahrungen schon sehr früh gemacht, als zehnjähriger Junge. Die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte ich mir schon als Jugendlicher, und dies war dann der Anstoss, Theologe zu werden. Ich wollte in eine andere Dimension vorstossen. Ich wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält und hoffte, in der Theologie Antworten zu bekommen. Den Sinn finde ich selber nur im Nachdenken. Die Theologie ist ein breites Studium und bietet viele Themen und Ansätze zum Nachdenken. Ich bin sehr froh, diesen Weg gewählt zu haben.

Es waren zwei grosse Lehrer, die mir auf meinem Lebensweg wichtige Inputs gegeben haben. Auf der einen Seite war es Albert Schweitzer und auf der anderen Seite Karl Jaspers. Letzterer war ein unglaublich nachdenklicher Mensch. Albert Schweitzer war durch seine Universalität eine ganz grosse Persönlichkeit. Ich hatte das Privileg, diese Menschen persönlich kennenzulernen. Das sind mithin Gründe für die Interessen in der „oberen Etage“, wie ich das zu nennen pflege.

Durch das Denken stosse ich aber auch an die Grenzen des Denkens. Es gibt dann nur noch den Weg in die Transzendenz. Irgendwo kommt man mit Denken nicht mehr weiter und dann muss das Vertrauen einsetzen. Das ist mein Verständnis von Religiosität, wie ich es immer gelebt habe. Auch wenn ich nicht mehr weiter weiss, werde ich gehalten und bin Teil eines grösseren Systems.

Dueblin: Es gibt Menschen, die ebenfalls viel nachdenken, aber sich an irgendeinem Punkt in ihrem Leben von der realen Welt abnabeln und möglicherweise in einer Scheinwelt landen, entrückt von der Realität. Diesen Vorwurf kann man Ihnen nicht machen. Sie stehen, und das zeigen Ihre Werke, vollkommen mit beiden Füssen auf der Erde und geben sich keinen Illusionen hin. Ihnen waren die Spielregeln der Medien, die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge beim Durchziehen von oft schwierigen Projekten sehr bewusst, und Sie haben diese Regeln angewandt.

Peter Schulz: Die Stiftung Akademie 91, eine Vorstufe zur Universität, habe ich gegründet, weil ich es sehr traurig fand, dass die Zentralschweiz die einzige Region war, die keine Uni hatte. Ich wollte hier in Luzern Akzente setzen. Ich wollte die Zentralschweiz nicht nur als Tourismusregion sehen, sondern als einen Ort mit einem hohen Bildungsanspruch. Das sind keine einfachen Unternehmungen. Solche Projekte werden sehr schnell politisch und immer geht es auch um die Finanzierung, die gewährleistet sein muss.

Ihre Feststellung, dass ich mit beiden Füssen auf dem Boden stehe, ist richtig. Ich wollte zwar schon immer in den Journalismus gehen und kannte die Regeln, wollte aber nicht am Schreibtisch sitzen und nur beobachten. Mir war es wichtig, immer selber ein Akteur auf dem Spielfeld zu sein. Ich habe als Theologe gerne gepredigt und mit meinen Aussagen Anregungen zum Nachdenken gegeben. Die Menschen haben das sehr geschätzt. Ich habe aber nie den Anspruch erhoben, die Leute sollten so denken wie ich. Das lag mir fern. Ich wollte nur zur Nachdenklichkeit beitragen. Ein guter Kommentar als Journalist ist wie eine gute Predigt, ebenfalls eine Einladung zum Nachdenken. Das sind Gemeinsamkeiten zwischen der Theologie und dem Journalismus. Ich bin aber auch kein Missionar. Der Missionar weiss, wo Gott sitzt. Das weiss ich nicht. Aber ich bin tief überzeugt, dass wir Menschen eine gemeinsame Aufgabe haben, die wir gemeinsam lösen müssen. Albert Schweitzer hat gesagt, man solle denkend religiös werden.

Der Verlag Pro Libro (Anmerkung der Redaktion: www.prolibro.ch) beispielsweise, den ich im Jahr 2006 gegründet habe, soll Schriftstellern in der Zentralschweiz die Möglichkeit geben, Bücher zu schreiben, die sie ohne einen solchen Verlag gar nie drucken könnten. Das Ziel ist es, jedes Jahr etwa vier Bücher auf den Markt zu bringen. Ich möchte, dass interessante Menschen zu Wort kommen und versuche dabei, der Boulevardisierung etwas Paroli zu bieten. Dieses Vorgehen wird von vielen Menschen sehr geschätzt. Das macht mich sehr glücklich.

Dueblin: Sehr geehrter Herr Schulz, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin Gesundheit und viel Erfolg bei Ihren zahlreichen Tätigkeiten!

(C) 2009 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.

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