Marcel Süssli Xecutives.net Interview
Marcel Süssli Xecutives.net Interview

Marcel Süssli, Jahrgang 1965, wurde im Alter von 12 Jahren bei einer abendlichen Wanderung in einem Schullager in Engelberg mit dem Sternen-Virus infiziert. Kurz darauf erwarb er ein kleines Fernrohr und mit 17 Jahren erkundete Marcel Süssli das All bereits mit einem grösseren Spiegelteleskop. Es folgten erste Versuche mit der eigenen Spiegelreflexkamera. Sein generelles Interesse an der Fotografie – gepaart mit der Begeisterung für Technik und Computer – ermöglichten es ihm, die Qualität seiner Bilder immer weiter zu optimieren. Seit 35 Jahren beschäftigt sich der Mathematiker Süssli bereits mit dem Thema Astrofotografie, Grund, ihm einige Fragen zu stellen.

Marcel Süssli produziert mit seinen technischen Gerätschaften wundervolle und bezaubernde Bilder aus dem Weltall. Bei der Betrachtung der Bilder mag sich manch einer fragen, warum er oder sie sich nicht schon vorher mit diesen schönen Objekten am Nachthimmel auseinandergesetzt hat. Im Interview mit Xecutives.net spricht Marcel Süssli über den tieferen Sinn der Astrofotografie und über das, was das Grosse und Kleine zusammenhält. Er erklärt, wie Bilder aus dem Weltall entstehen und bezeichnet, wohl sehr zu Recht, die Astrofotografie als die Königsdisziplin der Fotografie. Für ein gutes Bild braucht es eine geeignete astronomische Teleskopausrüstung, umfangreiche Vorbereitungsarbeiten sowie anschliessend das exakte Durchführen der Aufnahmeserien mit Hilfe modernster Kamera- und Computertechnik.

Gerade vor Weihnachten bringt uns dieses Interview die Sterne etwas näher und wir wünschen unserer Leserschaft mit diesem Interview und seinen besonderen Bildern eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Dueblin: Sehr geehrter Herr Süssli, Sie sind Astrofotograf und seit vielen Jahren setzen Sie sich mit dem Universum auseinander, indem Sie Sterne, Sonnen und Planeten suchen und fotografieren. Es entstehen dabei sehr schöne und beeindruckende Bilder. Nun schauen Sie in den Himmel, auf der Suche nach dem Grossen. PD Hans-Peter Beck im Gegensatz hat im Interview sehr detailliert Auskünfte über das Kleinste, das was die Welt zusammenhält, das Higgs-Teilchen, erteilt. Beck hat wichtige Beiträge zum Design und Bau des ATLAS-Detektors (AToroidal LHC ApparatuS) geleistet und war bei der Entdeckung des Higgs Teilchens direkt beteiligt. Was hält für Sie als Astrophotograph dieses ganz Grosse und das ganze Kleine zusammen?

Marcel Süssli: Nun, das ist keine einfache Frage. Letztendlich hält das Grosse die Gravitation zusammen, beschrieben durch die Einstein’sche Relativitätstheorie. Die Gravitation ist erstaunlicherweise die schwächste Kraft im Universum. Im Kleinen gibt es noch weitere, viel stärkere Kräfte. Wir reden hier primär von elektromagnetischen Wechselwirkungen zwischen den kleinen Elementarteilchen, deren Erforschung viel schwieriger und aufwändiger ist (Quantenphysik). Deshalb hat es auch bis heute gebraucht, um mit aufwändigen Experimenten, wie sie beispielsweise PD Hans-Peter Beck am CERN betreiben konnte, diese kleinen Teilchen und deren Wechselwirkungen zu erkunden und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Noch sind aber viele Rätsel ungelöst und für deren Lösung wird die Forschung wohl noch Jahrzehnte oder noch mehr Zeit benötigen. In jedem Fall leben wir in einer extrem spannenden Epoche, wo es in rascher Abfolge gewaltige Fortschritte in Forschung und Technik gibt, die uns immer weiter im Wissen über unsere Herkunft und Entwicklung vordringen lassen. Gerade die Quantengravitation ist ein sehr aktuelles Forschungsthema. In der Astrofotografie, wie Sie richtig bemerken, geht es „nur“ um die Darstellung des Grossen. Das Kleine ist darin aber versteckt und offenbart sich indirekt. Je mehr man die Details anschaut und sich beispielsweise fragt, warum Sterne überhaupt leuchten und solche Energien freisetzen können, kommt man dem Kleinen, zum Beispiel den Atomen und ihren Bestandteilen, nahe und erkennt, dass gewaltiger Druck und extrem hohe Temperaturen notwendig sind, um bei der Atomkernverschmelzung überhaupt solche Energien freisetzen zu können.

IC 1805: Herznebel, Sternentstehungsgebiet im Sternbild Cassiopeia. 192 Min. Belichtungszeit mit 106/530mm Refraktor durch Linienfilter Ha, aufgenommen in Riehen. Entfernung ca. 6500 Lichtjahre  (Foto: Marcel Süssli).
IC 1805: Herznebel, Sternentstehungsgebiet im Sternbild Cassiopeia. 192 Min. Belichtungszeit mit 106/530mm Refraktor durch Linienfilter Ha, aufgenommen in Riehen. Entfernung ca. 6500 Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).

Generell sind die Dimensionen und Verhältnisse in Astronomie und Astrophysik für uns Menschen kaum vorstellbar, selbst für mich, der ich mich intensiv mit dem Thema beschäftige. Trotzdem ist unser Verständnis darüber heute schon sehr fortgeschritten. Die Grenze vom Kleinen zum Grossen ist fliessend und sehr spannend. Einstein sagte einmal: «Das Unverständlichste am Universum ist im Grunde, dass wir es verstehen können». Mir gefällt dieser Satz sehr gut.

Dueblin: Die Dimension des Weltalls und Universums ist für normale Menschen, die von der Materie wie ich nur wenig verstehen, nicht nachvollziehbar. Wie schaffen Sie für sich selber Ordnung, wenn Sie ins All blicken?

Marcel Süssli: Am einfachsten ist es, wenn man versucht, diese gewaltigen Relationen auf uns bekannte Objekte oder Grössen zurückzuführen, sei es auf Zeiteinheiten oder auf Distanzen.

Ich kann Ihnen das anhand von zwei Beispielen erklären: Wenn man die Geschichte des Universums vom Urknall bis heute, etwa 14 Milliarden Jahre, auf genau ein Jahr reduziert, so ist der Mensch am 31. Dezember um 23:54 Uhr «erschienen» und ist leider heute dabei, das über Jahrmilliarden erschaffene Werk der Natur in ganz kurzer Zeit zu zerstören. Ich habe aber nach wie vor die Hoffnung, dass es genug intelligente Menschen gibt, die das verhindern werden. Das einfach nebenbei bemerkt.

Astronomen haben des Weiteren die sogenannte astronomische Einheit (AE) geschaffen, welche hilft, die Distanzen besser zu verstehen. Eine AE entspricht dabei der mittleren Distanz von der Erde zur Sonne, also etwa 150 Millionen Kilometer. Die Distanz bis zum äussersten Planet Neptun beträgt etwa 30 AE, die Distanz zum nächsten Stern beträgt ca. 268’000 mal so viel und der Weg bis zur nächsten Galaxie, der Andromeda-Galaxie Messier 31, beträgt nochmals etwa 600’000 Mal mehr, also bereits unvorstellbare Dimensionen, wie Sie richtig bemerken.

Eine weitere Möglichkeit, Distanzen greifbar zu machen, besteht beispielsweise darin, die Verhältnisse auf die Erde zu übertragen. Wenn ich am Bahnhof in Basel starte und die Distanz bis zu Neptun auf 2 Kilometer (Luftlinie bis Münchenstein) normiere, dann folgt der erste Stern im Universum auf der Höhe von Neuseeland, also ca. 18’000 Kilometer von uns entfernt.

Übrigens ist mittlerweile klar, dass unsere eigene Galaxie und jene in der Andromeda sich aufgrund ihrer Bewegungsrichtungen in 4 Milliarden Jahren treffen und vereinen werden, in einem Prozess, der Jahrmillionen dauern wird. Was das für die Erde heisst ist noch unklar, zumal das Restalter der Sonne auf etwa 4 bis 5 Milliarden Jahre geschätzt wird. Möglicherweise gibt es die Erde dann gar nicht mehr, weil sie verkohlt und von der Sonne vor ihrem Tod „verschluckt“ wurde. Mich fasziniert nicht nur die Theorie, sondern vielmehr auch die Schönheit und Struktur des Universums und deren Objekte. Die Natur ist im Rahmen der Evolution immer bestrebt, für klare Strukturen zu sorgen, also aus zwischenzeitlich chaotischen wieder geordnete Zustände zu schaffen.

Andromeda-Galaxie: Messier 31, die grösste Galaxie am Nordhimmel, unsere «Schwestergalaxie», RGB Aufnahme 2011, Val Müstair, 2h Gesamtbelichtungszeit, 106mm Refraktor/380mm Brennweite. Entfernung 2.5 Millionen Lichtjahre  (Foto: Marcel Süssli).
Andromeda-Galaxie: Messier 31, die grösste Galaxie am Nordhimmel, unsere «Schwestergalaxie», RGB Aufnahme 2011, Val Müstair, 2h Gesamtbelichtungszeit, 106mm Refraktor/380mm Brennweite. Entfernung 2.5 Millionen Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).

Dueblin: Wir wissen, dass sich schon die Mayas, die Kelten und die Ägypter mit unseren Himmelsköpern beschäftigt haben. Was hatten diese alten Völker für Methoden und Geräte oder sagen wir Techniken zur Hand, um Beobachtungen ausführen zu können?

Marcel Süssli: Nun, früher hatte man nur ganz einfache Mittel. Begonnen hat es logischerweise mit freiäugigen Beobachtungen und Aufzeichnungen der Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten von verschiedenen Standorten aus. Damals musste der Himmel noch viel eindrucksvoller gewesen sein, als wir ihn heute in Stadtnähe erleben. Licht- und Umweltverschmutzung waren sicherlich noch kein Thema.

Es brauchte lange, bis man erkannte, dass sich Planeten von Sternen unterscheiden. Dies darum, weil neben den scheinbar feststehenden Sternen („Fixsterne“) die Planeten sich in bestimmten Bahnen bewegten. Aus der Analyse dieser Bahnen entwickelten sich, nebst Distanz und Grössenschätzungen von Sonne, Erdumfang, Umlaufzeiten, u.a. auch verschiedene astronomische Kalender, die durch die Bewegungen und Perioden von Sonne, Mond und Sternen definiert waren, wie etwa der Julianische Kalender. Auch die Maya hatten einen eigenen Kalender, der sich allerdings an den Zyklen der Venus orientierte. Man versuchte auch früh schon, die Sterne zu gruppieren, indem man Gottheiten aus der Mythologie und Tiere darauf projizierte und ihnen entsprechende Namen gab. So entstanden die Sternbilder, welche allerdings in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedliche Namen hatten. Noch heute ist die Mehrheit der uns geläufigen Sternbildnamen ägyptischen Ursprungs.

Wissenswert dabei ist, dass auch Sternbilder Veränderungen unterworfen sind. Sie stellen ja eine Projektion der Sterne an den Himmel dar und verändern ihre Gestalt aufgrund der grossen Distanzen nur im Bereich von mehreren Tausend Jahren. Ein Mensch selbst, mit seiner begrenzten Lebensdauer, die ich gerne als Dauer des Aufleuchtens einer Sternschnuppe bezeichne, kann diese Veränderung gar nicht wahrnehmen.

Ursache ist natürlich die Eigenbewegung der Sterne um das Galaxienzentrum. Alle Sterne, die wir am Himmel sehen, gehören zu unserer eigenen Galaxie, auch Milchstrasse genannt, welche selbst aus etwa 200 Milliarden Sternen besteht.

NGC 7293: grösster planetarischer Nebel am Himmel, Sternbild Wassermann, Helixnebel genannt, Überrest einer Sternexplosion (Supernova) am Ende des Sternenlebens; aufgenommen 2014 in Namibia mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite, RGB ca. 4h Gesamtbelichtungszeit. Entfernung «nur» ca. 700 Lichtjahre  (Foto: Marcel Süssli).
NGC 7293: grösster planetarischer Nebel am Himmel, Sternbild Wassermann, Helixnebel genannt, Überrest einer Sternexplosion (Supernova) am Ende des Sternenlebens; aufgenommen 2014 in Namibia mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite, RGB ca. 4h Gesamtbelichtungszeit. Entfernung «nur» ca. 700 Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).

Dueblin: Was wir zurzeit auf Ihren Bildern sehen, ist ja alles „uralt“. Wir sehen Licht, das seit Jahrmillionen und -milliarden Jahren unterwegs ist. Wir sehen also in die Vergangenheit und können nur vermuten, was der aktuelle Zustand ist. Das ist ein bisschen bizarr und vielleicht auch nicht so leicht zu verstehen. Wie interpretieren Sie diesen Zustand, diesen Blick weit zurück in die Vergangenheit?

Marcel Süssli: Wie eben erwähnt, stellen die Sternbilder eine Projektion diverser Sterne in unterschiedlicher Distanz dar. In der Regel ist es also so, dass die Sterne eines Bildes, wie z.B. dem grossen griechischen Jäger «Orion», nicht zusammengehören, sondern in ganz unterschiedlicher Distanz leuchten und nur zufällig aus unserem Blickwinkel eine Form bilden, der wir den Namen «Orion» gegeben haben. Im vorliegenden Beispiel haben wir Sterndistanzen zwischen etwa 100 und 4000 Lichtjahren!

Der andere wichtige Aspekt, auf den Sie in Ihrer Frage hinweisen, ist auch sehr spannend und faszinierend zugleich: wenn man an den Himmel blickt, schaut man immer in die Vergangenheit und zwar bunt durchmischt was Distanz und demzufolge Alter anbelangt. Bezogen auf die Sterne des Orion hat also das Licht zwischen 100 und 4000 Lichtjahren gebraucht, um uns auf der Erde zu erreichen. Die Lichtgeschwindigkeit ist, nebenbei erwähnt, etwa 300’000 km pro Sekunde und die Distanz, die es pro Jahr zurücklegt beträgt 9.46 Billionen Kilometer!

Wenn wir nun also den Blick an den Himmel in die Vergangenheit machen, ist dies eine Momentaufnahme wo Lichtquellen unterschiedlichen Alters zusammenkommen. Wir wissen zum heutigen Zeitpunkt also nur, dass die Sterne vor dieser Anzahl Jahre einen bestimmten Zustand hatten, der z.B. durch Spektralanalyse erforscht werden kann. Was heute ist, können wir nur abschätzen.

Bei Sternen gibt es Klassifizierungen, mit deren Hilfe man das weitere Leben grob erahnen kann und auch weiss, wie es enden wird. Die wesentlichen Parameter dabei sind die Masse und die chemische Zusammensetzung. Bei grosser Masse ist das Leben meist spektakulärer und endet in einer Supernova Explosion. Unsere Sonne ist übrigens nur ein durchschnittlicher Stern, ihr Licht braucht für die 150 Millionen Kilometer Distanz zur Erde gute 8 Minuten. Beim «Sternenleben» reden wir von mehreren Milliarden von Jahren. Die grossen Sterne leben kürzer, wogegen kleine Sterne haushälterischer mit Ihren Energien umgehen und länger leben. Unsere Sonne wird etwa ein Alter von 8 Milliarden Jahren erreichen und steht heute in der Blüte ihres Lebens.

Übrigens ist die visuell erfassbare Sternfarbe auch ein Indikator für Grösse und Alter der Sterne. Rote Sterne sind eher gross am Ende ihres Lebens, wogegen blaue Sterne noch jung sind. Junge Sterne bilden dann oftmals auch noch Gruppierungen (Sternhaufen) bevor sie auseinanderdriften. Ein Beispiel einer visuell sichtbaren jungen Sterngruppe sind die Plejaden («Siebengestirn»), welche im Sternbild Stier im Winter sehr schön beobachtet werden können.

Heute gelingt es mit Riesenteleskopen und modernsten Techniken, immer weiter entfernte Objekte zu beobachten und demzufolge immer frühere Zustände des Universums analysieren zu können. Wir sind dabei schon sehr nahe am Urknall, welcher vor etwa 14 Milliarden Jahren stattgefunden hat. Dies ist wirklich faszinierend und, wie Sie es nennen, bizarr zugleich, ja unfassbar.

Dueblin: Lange Zeit war es den Sternwarten vorbehalten, näher ins All blicken zu können. Wann und wie kam es dazu, dass auch Amateure und Private die Möglichkeit hatten, tiefer ins Weltall zu schauen?

Marcel Süssli: Hier gilt es zwei Bereiche zu unterscheiden: einerseits die visuelle Astronomie und andererseits die Astrofotografie. Lassen Sie mich zuerst die Entwicklungen in der Astrofotografie erläutern, denn hier kann man wesentlich mehr Erkenntnisse gewinnen als visuell.

Ich betreibe jetzt schon 35 Jahre Astrofotografie und habe viele grosse Entwicklungsschritte miterlebt. Angefangen hat es in den 80er Jahren, als erstmals Diafilme oder Farbnegativfilme auf den Markt kamen, die auch für Langzeitbelichtungen tauglich waren. Dies ging einher mit der Entwicklung der Spiegelreflexkameras. Damals belichtete man teilweise bis zu einer Stunde pro Bild, sah aber das Ergebnis erst, nachdem der Film entwickelt war. Zudem war die Nachführkontrolle mit mühsamer „manueller“ Arbeit am Teleskop verbunden. Das machte alles viel schwieriger als heute.

Der grösste Schritt kam mit den Digitalkameras Ende der 90er Jahre und Anfang der 2000er Jahre. Er brachte plötzlich die Möglichkeit, sehr schwache Objekte mit vernünftigen Belichtungszeiten aufnehmen und unmittelbar danach betrachten zu können. Parallel dazu entwickelte sich die Technik schnell weiter, bis mechanische/elektrische Hilfsmittel zur Verfügung standen, die es ermöglichten, lange Belichtungen mit hoher Nachführpräzision durchzuführen. Die Entwicklungen in der professionellen Astrofotografie drangen somit langsam auch in den Amateurbereich und wurden erschwinglicher. Dadurch wuchs das Interesse in der Amateurszene und die Preise sanken weiter. Mit der gleichzeitigen Entwicklung der Computertechnologie wurde dann auch die Bildbearbeitung immer ausgefeilter und in der Summe brachte dies gewaltige Entwicklungsschritte.

NGC 104: zweithellster Kugelsternhaufen des Himmels im Sternbild Tukan (Südhimmel), besteht aus mehreren Millionen von Sternen, aufgenommen 2014 in Namibia mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite. Entfernung ca. 17'000 Lichtjahre  (Foto: Marcel Süssli).
NGC 104: zweithellster Kugelsternhaufen des Himmels im Sternbild Tukan (Südhimmel), besteht aus mehreren Millionen von Sternen, aufgenommen 2014 in Namibia mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite. Entfernung ca. 17’000 Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).

In der visuellen Astronomie waren die Fortschritte nicht so dramatisch, sondern vollzogen sich langsamer und fliessender. Trotzdem ist auch hier natürlich der Trend zu immer grösseren Teleskopen mit besserer optischer Leistung zu beobachten, um immer mehr Details der verschiedenen Himmelsobjekte erkennen zu können. Daneben ist auch hier die Computerisierung zu beobachten, welche es heute ermöglicht, innert kurzer Zeit viele Objekte mit dem Teleskop automatisch anzusteuern und zu beobachten, wogegen früher ein Objekt mittels optischem Sucherteleskop und Sternkarten ausfindig gemacht werden musste.

Durch die Digitalisierung geht allerdings auch viel vom Reiz der visuellen Beobachtung verloren. Man muss die Figuren der Sternbilder und deren Wandel durch die Erdrotation, respektive die Bewegung über die Jahreszeiten aufgrund der Umlaufbahn der Erde um die Sonne, nicht mehr kennen und verstehen, sondern kann nur noch «konsumieren». Der visuellen Astronomie sind allerdings mehr Grenzen gesetzt als der fotografischen. Zum einen steht am Ende immer unser Auge, das an sich ein absolut faszinierendes Wunder der Natur ist, aber eben auch seine Grenzen hat. Und daneben stellen die atmosphärischen Limiten in der visuellen Astronomie mehr Probleme dar als in der Fotografie, wo mittels diverser Tricks der Atmosphäre ein Schnippchen geschlagen werden kann.

Marcel Süssli mit einem Teil seiner Ausrüstung für die Astrofotografie-Aufnahmen (Foto: Marcel Süssli).
Marcel Süssli mit einem Teil seiner Ausrüstung für die Astrofotografie-Aufnahmen (Foto: Marcel Süssli).

Dueblin: Wann haben Sie sich das erste Mal mit den Sternen auseinandergesetzt? Wie kam es zum Entscheid, einen grossen Teil Ihrer Freizeit und erhebliche finanzielle Ressourcen für die Astrofotografie zu verwenden?

Marcel Süssli: Der Ursprung meines langjährigen Interesses an der Astronomie und später Astrofotografie liegt in einem Herbstlager in Engelberg, wo ein Leiter mit uns einen Nachtausflug machte und einige Dinge über den Sternenhimmel erklärte. In der klaren Bergluft war der Himmel besonders eindrucksvoll und ich war davon so fasziniert, dass ich kurz darauf in der Schulbibliothek nach astronomischen Büchern Ausschau hielt. Eines meiner ersten Bücher, an welches ich mich noch sehr gut erinnere, war „Das Antwortbuch der Astronomie“, das auf verständliche Weise die wesentlichen Themen behandelte. Bald schon kam der Wunsch nach einem eigenen Teleskop auf. Ich lag meinem Vater so lange in den Ohren damit, bis ich schliesslich ein erstes kleines Teleskop mit 60mm Öffnung und 700mm Brennweite geschenkt bekam. Mit diesem machte ich vom Balkon unserer Wohnung die ersten Beobachtungen. Ich widmete mich dem Mond mit seinen vielen Kratern und Gebirgen aber auch Saturn mit seinen Ringen, ein faszinierendes und wunderschönes Himmelsobjekt. Saturn ist übrigens auch bei öffentlichen Führungen auf der Sternwarte des astronomischen Vereins Basel immer wieder der Liebling der Besucher.

Mit den ersten eigenen Verdiensten während der Schulferien leistete ich mir schon bald ein grösseres Teleskop und die erste Spiegelreflexkamera. Mit den sich einstellenden fotografischen Erfolgen auf Diafilm wurde das Interesse und die Motivation immer grösser und ich wollte einerseits noch weiter ins All vorstossen, es andererseits aber auch besser verstehen. Dazu trat ich dem astronomischen Verein Basel bei und lernte so im Austausch mit Kollegen und an Vorträgen vieles dazu. Zusammen mit meinem allgemeinen Interesse für die Fotografie ergab sich dann der für mich persönlich spannende «Cocktail», der sich Astrofotografie nannte. Ich bezeichne diese gerne als Königsdisziplin der Fotografie.

Milchstrasse mit Zodiakallicht, aufgenommen in Namibia mit Fuji X-T2, 30s bei 3200 ASA, 15mm Brennweite (Foto: Marcel Süssli).
Milchstrasse mit Zodiakallicht, aufgenommen in Namibia mit Fuji X-T2, 30s bei 3200 ASA, 15mm Brennweite (Foto: Marcel Süssli).

Die grossen Fortschritte und Entwicklungen in der Technik liessen mich dann über die Jahre nicht los und im Gleichschritt konnte ich mit meinen fotografischen Ergebnissen, erstellt mit neuen Geräten und Kameras, immer weiter an Grenzen vordringen, die früher den Profi-Astronomen vorbehalten waren. Diese Reise ist noch lange nicht zu Ende! So bleibt dieses Hobby auch in Zukunft spannend und wird mich wohl bis ans Lebensende begleiten. Gerne pflege ich seit einigen Jahren eine eigene Homepage, wo ich aktuelle Bildergebnisse mit Kollegen teile aber auch für mich selbst dokumentiere.

Dueblin: Ich könnte mir vorstellen, dass ähnlich einem Raumfahrer, der auf die Erde schaut, auch einem Fotografen, der die Himmelskörper fotografiert, vieles durch den Kopf geht. An was denken Sie, wenn Sie auf der Suche nach neuen Himmelskörpern sind und fotografieren?

Auch hier hat sich einiges verändert, denn heute ist die Astrofotografie mit viel mehr Technik verbunden, so dass weniger Zeit zum Nachdenken bleibt. Man muss trotz oder gerade wegen der umfangreichen Technik auf jedes Detail achten. Der kleinste Fehler im Workflow hat den Totalverlust einer Belichtungsserie zur Folge und man beginnt wieder von vorne. Das ist natürlich ärgerlich, weil die klaren Nächte mit ruhiger Luft in unseren Breitengraden selten sind.

Allerdings ist es auch so, dass wenn einmal eine Aufnahmeserie korrekt läuft, man für einige Stunden in der Wärme entspannen kann oder die Zeit nutzt, um mit einem Feldstecher oder einem anderen Teleskop visuell zu beobachten. Dann ist man in seinen Gedanken öfters auch ehrfürchtig und ergriffen ob der gewaltigen Dimensionen, der Schönheit der Objekte und auch dankbar, als intelligenter Mensch geboren zu sein und die Möglichkeit zu haben, dieses faszinierende «Schauspiel» erleben zu dürfen. Die Frage nach dem Ursprung kommt natürlich auch immer wieder «hoch».

Neues zu entdecken, ist heute für Amateure schwieriger als früher, da es sehr viele professionelle Sternwarten gibt, die den Himmel ununterbrochen nach neuen Kometen und Kleinplaneten absuchen. Allerdings gibt es auch im Amateurbereich kleinere Privatsternwarten, die ab und zu neue Kleinplaneten entdecken. Selten gibt es auch Zufallsentdeckungen von Amateuren, die z.B. im Rahmen einer Belichtungsserie plötzlich einen immer heller werdenden Stern entdecken, was sich dann als Supernovaexplosion eines Sterns am Ende seines Lebens herausstellt.

Ich selbst strebe nicht nach Neuentdeckungen, sondern habe Freude daran, bekannte Objekte in guter Qualität und im richtigen «Blickwinkel» einzufangen. Ich freue mich allerdings auch, wenn plötzlich ein schöner Komet am Himmel erscheint oder besondere Finsternisereignisse stattfinden. Eine totale Sonnenfinsternis zu erleben, ist beispielsweise etwas sehr Beeindruckendes.

Totale Sonnenfinsternis, aufgenommen in den USA (Oregon), August 2017. Komposition aus 8 Bildern mit unterschiedlichen Belichtungszeiten von 0.5 bis 2.5 Sekunden, 70mm Refraktor mit 560mm Brennweite, Fuji X-T2 (Foto: Marcel Süssli).
Totale Sonnenfinsternis, aufgenommen in den USA (Oregon), August 2017. Komposition aus 8 Bildern mit unterschiedlichen Belichtungszeiten von 0.5 bis 2.5 Sekunden, 70mm Refraktor mit 560mm Brennweite, Fuji X-T2 (Foto: Marcel Süssli).

Dueblin: Ich gehe davon aus, dass es heute erhebliches Know-how auch in Sachen Computer und IT bedarf, sagen wir „Equipment“, um solche Bilder herstellen zu können. Was hilft Ihnen hierbei Ihr Wissen als Mathematiker?

Marcel Süssli: Die Arbeit am Computer ist für mich natürlich tägliches Brot, so dass ich den Umgang mit Soft- und Hardware gewohnt bin, was schon einmal eine Zeitersparnis per se mit sich bringt. Die Kenntnis der Mathematik und deren Gesetzmässigkeiten erleichtert daneben natürlich auch das Verständnis der Techniken in der Astrofotografie, die mittlerweile eingesetzt werden. Dies sowohl in der Technik der Nachführung des Teleskops, der Bildverarbeitung als auch bei den optischen Themen, um beispielsweise die passende Ausrüstung optimal zusammenstellen zu können.

Dueblin: Die Belichtungszeit für ein Astro-Bild dauert viele Minuten und gleichzeitig muss das Teleskop während der Belichtung exakt der Erddrehung folgen. Können Sie uns Laien etwas genauer erklären, wie Sie bei der Fotografie vorgehen und was diese Art der Fotografie von der normalen Fotografie hier auf der Erde unterscheidet?

Marcel Süssli: Beginnen wir mit der Erddrehung: Den meisten ist bekannt, dass im Laufe der Nacht die Sterne am Himmel wandern, genauer gesagt, sie drehen sich um den Himmelsnordpol, der derzeit gleich neben dem hellsten Stern im kleinen Wagen, dem sogenannten Polarstern, liegt. Der Himmelsnordpol ist die Verlängerung der Erdachse an das Himmelszelt, und die Bewegung der Sterne wird also primär durch die Erddrehung erzeugt. Daneben umkreist die Erde im Laufe eines Jahres noch die Sonne und sorgt so dafür, dass wir am Abend zur jeweils gleichen Zeit immer wieder andere Sternbilder im Osten aufgehen sehen. Mitentscheidend, welche Sterne wir überhaupt sehen, ist auch die Lage des Beobachtungsortes auf der Erdkugel; konkreter die nördliche Breite (für Basel ca. 47.5 Grad). Durch diese Lage ist unser Horizont eingeschränkt. Wir können maximal 90 Breitengrade in die andere Richtung schauen, will heissen, Sternbilder die südlicher als -42.5 Grad liegen, sehen wir gar nie bei uns. Am besten hat es jemand am Äquator, der kann in alle Richtungen sehen und so im Laufe des Jahres alle möglichen Sterne sehen.

Ein Teleskop montiert man in der Regel auf einer sogenannten parallaktischen Montierung. Diese hat zwei Bewegungsachsen, die rechtwinklig angeordnet sind. Nun richtet man zuerst die eine Achse genau auf den Himmelsnordpol aus. Dadurch wird ermöglicht, dass man durch eine exakt gleich schnelle Gegenbewegung zur Erdrotation auf der anderen Achse die Erddrehung ausgleichen kann. In der Praxis ist es jedoch so, dass das noch nicht ausreicht. Mechanische Unzulänglichkeiten und auch atmosphärische Einflüsse müssen auch noch korrigiert werden. Dazu kann man sich heute aber wiederum Hilfsmitteln bedienen, die dies automatisch ausgleichen. Als Beispiel seien Autoguider genannt, die mit einem kleinen Kamerachip einen ausgewählten Stern exakt verfolgen (durch fortwährende Aufnahmen im Abstand weniger Sekunden) und, wenn er sich vom Idealort wegbewegt, automatisch eine Korrekturbewegung an die Montierung senden.

Totale Mondfinsternis mit Aufnahmegerät im Vordergrund und verfinstertem Mond im Hintergrund, aufgenommen im Schwarzwald 2015 (Foto: Marcel Süssli).
Totale Mondfinsternis mit Aufnahmegerät im Vordergrund und verfinstertem Mond im Hintergrund, aufgenommen im Schwarzwald 2015 (Foto: Marcel Süssli).

Wenn man nun eine perfekte Nachführung auf das gewünschte Himmelsobjekt sichergestellt hat, kann man sich an die Aufnahme wagen. Hierzu kann man eine digitale Spiegelreflex- oder Systemkamera verwenden oder, noch besser, eine spezielle Astrokamera, deren Aufnahmechip während der Belichtung auf ca. minus 20 Grad herunter gekühlt wird, um das elektronische Rauschen auf ein Minimum zu reduzieren, um so bei den schwachen Himmelsobjekten noch einen guten Kontrast zu erreichen. Aber auch in diesem Bereich gab es in den letzten Jahren deutliche Fortschritte, so dass das Rauschen langsam an Bedeutung verliert. Die Kamera schliesst man nun mittels Adapter an das Teleskop an, welches jetzt als grosses Fotoobjektiv dient.

NGC 253: Silberdollar Galaxie im Sternbild Skulptor (Südhimmel), aufgenommen in Namibia 2014 mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite, LRGB Aufnahme mit ca. 2.5h Gesamtbelichtungszeit. Entfernung ca. 11 Millionen Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).
NGC 253: Silberdollar Galaxie im Sternbild Skulptor (Südhimmel), aufgenommen in Namibia 2014 mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite, LRGB Aufnahme mit ca. 2.5h Gesamtbelichtungszeit. Entfernung ca. 11 Millionen Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).

Für die Aufnahmen macht man dann Aufnahmesequenzen, um die oben beschrieben Fehler und auch elektronischen Unzulänglichkeiten des digitalen Bildes nochmals weiter zu reduzieren, aber auch, um z.B. Flugzeugspuren am Himmel durch Überlagerung von mit mathematischen Algorithmen gemittelten Aufnahmen zu eliminieren. Eine typische Aufnahmesequenz besteht aus 12 Aufnahmen à 10 Minuten. Das ist aber «leider» noch nicht alles! Denn um beste Schärfe zu erhalten, verwenden die speziellen Astrokameras nur Schwarzweiss-Aufnahmechips. Um damit ein Farbbild zu erhalten, muss nun im RGB-Verfahren belichtet werden. Das heisst, man macht mit je einem Rot-, Grün- und Blaufilter eine Aufnahmesequenz und fügt dann mit einer Computersoftware die drei Farbkanäle zu einem korrekten Farbbild zusammen. Hierzu verwendet man spezielle Astrofoto-Software, mit welcher man die Bildergebnisse nochmals weiter optimieren und den Kontrast verstärken kann. Ein Schuss Kreativität gehört auch dazu und erst dann ist ein einziges Bild fertig.

In der Astrofotografie kämpft man dazu noch mit diversen Störfaktoren, wobei die schlimmste die Lichtverschmutzung ist, welche durch übertriebene künstliche Beleuchtung erzeugt wird und über Städten grosse Lichtglocken entstehen lässt. Diese beeinträchtigen den Kontrast der Aufnahme stark und führen auch zu Farbverfälschungen. Die Wissenschaft hat aber auch hier Gegenmittel entwickelt, etwa in Form spezieller Filter, welche die Lichtfrequenzen der typischen künstlichen Lichtquellen herausfiltern und so einen viel besseren Kontrast erzeugen. Die Folge ist allerdings, dass man nur Schwarzweiss-Aufnahmen machen kann oder dann sogenannte Falschfarbenbilder erstellt, die durch 3 Linienfilter kombiniert werden. Ich experimentiere seit einiger Zeit auch damit und habe auch schon schöne Erfolge erzielt. Um das Thema Belichtung abzuschliessen, möchte ich noch die bisher in der Summe längste Belichtungszeit nennen, die ich bisher für eine einziges Objekt verwendet habe: 18 Stunden!

IC 1396: Elephant Trunk Nebel, Sternentstehungsgebiet im Sternbild Kepheus, Falschfarbenaufnahme mit Linienfiltern Ha, OIII, SII, 18h Gesamtbelichtungszeit, 106mm Refraktor mit 530mm Brennweite, aufgenommen in Riehen. Entfernung etwa 2400 Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).
IC 1396: Elephant Trunk Nebel, Sternentstehungsgebiet im Sternbild Kepheus, Falschfarbenaufnahme mit Linienfiltern Ha, OIII, SII, 18h Gesamtbelichtungszeit, 106mm Refraktor mit 530mm Brennweite, aufgenommen in Riehen. Entfernung etwa 2400 Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).

Für Sonnen-, Mond- und Planetenaufnahmen oder auch Aufnahmen der ISS, welche stark dem zweitgrössten Störfaktor, der Luftunruhe, unterliegen, weil man hier starke Vergrösserungen verwendet, gibt es nochmals andere Techniken: Aus einer längeren Videosequenz werden mittels Spezialsoftware nur die besten (schärfsten) Einzelbilder ausgewählt und zu einem finalen Bild kombiniert. Hier werden dann beispielsweise aus einer Aufnahmesequenz von 5000 Einzelbildern die 200 besten ausgewählt und überlagert.

Mond Detailaufnahme, Montes Jura: rund 400 km langes Ringwallgebirge, 180mm Refraktor mit 5m Brennweite, Videosequenz: 500 Bilder aus 5000 selektiert und addiert (Foto: Marcel Süssli).
Mond Detailaufnahme, Montes Jura: rund 400 km langes Ringwallgebirge, 180mm Refraktor mit 5m Brennweite, Videosequenz: 500 Bilder aus 5000 selektiert und addiert (Foto: Marcel Süssli).

Sie sehen, die Aufnahmetechnik ist sehr technisch und kompliziert, eine kleine Wissenschaft für sich, weshalb man die Astrofotografie getrost als Königsdisziplin der Fotografie bezeichnen darf. Allerdings sind wir auch hier noch nicht am Ende und die Automatisierung wird immer stärker, so dass einzelne Techniken zuletzt deutlich einfacher in der Realisierung geworden sind. Wenn man am Schluss aber ein tolles Einzelbild in den Händen hält, hat sich der grosse Aufwand gelohnt und die Freude überwiegt bei weitem.

International Space Station ISS: Videosequenz von etwa 200 Bildern, davon ca. die besten 50 ausgewählt, 180mm Refraktor mit 6 m Brennweite, Montierung durch Eingabe der Bahndaten nachgeführt (Foto: Marcel Süssli).
International Space Station ISS: Videosequenz von etwa 200 Bildern, davon ca. die besten 50 ausgewählt, 180mm Refraktor mit 6 m Brennweite, Montierung durch Eingabe der Bahndaten nachgeführt (Foto: Marcel Süssli).

Dueblin: Die Technik wird weiter fortschreiten, wie Sie sagen. Was ist in Zukunft zu erwarten, wenn es um die Astrofotografie geht? Was denken Sie, wird in Zukunft möglich sein, was heute vielleicht noch nicht möglich ist?

Marcel Süssli: Hier fallen mir spontan folgende Stichworte ein: weitere Automatisierung, der Trend zu Remotesternwarten, die einem selbst gehören oder die man mietet. Daneben sind Stichworte wie Künstliche Intelligenz und Machine Learning sicher auch Bereiche, die sich schnell weiterentwickeln und für umwälzende Veränderungen im täglichen Leben des Menschen sorgen und sich in irgendeiner Form auch auf die Astronomie bzw. Astrofotografie auswirken werden.

Lassen Sie mich das Thema Automatisierung und Remote-Sternwarten noch etwas ausführen: Das ist in der Astrofotografie sicher der grösste Trend der letzten Jahre und auch Folge von an vielen Standorten immer schlechter werdenden Beobachtungsbedingungen. Mit der heutigen Computertechnologie und der weltweiten Vernetzung mittels Internet ist es möglich, an einem vom Wetter begünstigten Standort weitab von Dunst und Störlicht der städtischen Agglomerationen eine Sternwarte zu errichten und die Teleskope, Kameras und Nachführsteuerungen von zu Hause aus über das Internet zu steuern und die Bilder herunterzuladen.

Saturn: aufgenommen im Juli 2018 in Chile mit 1m Remote Teleskop, 16m Brennweite, Videosequenzen mit total ca. 20’000 Bildern (je 5000 durch 4 Filter: IR und RGB), davon etwa die besten 4’000 addiert (Foto: Marcel Süssli).
Saturn: aufgenommen im Juli 2018 in Chile mit 1m Remote Teleskop, 16m Brennweite, Videosequenzen mit total ca. 20’000 Bildern (je 5000 durch 4 Filter: IR und RGB), davon etwa die besten 4’000 addiert (Foto: Marcel Süssli).

Die neueste Variante, welche ich dieses Jahr erstmals auch selbst ausprobiert habe, ist die Möglichkeit, eine solche Remote-Sternwarte für einige Stunden zu mieten. Das ist zwar nicht billig, aber man kann vom eigenen Computer aus mit einer Steuersoftware den Computer am Ort der Sternwarte übernehmen und Bilder machen. Dies ermöglichte mir in den Anden von Chile, bei besten atmosphärischen Bedingungen, mit einem Spiegelteleskop von einem Meter Durchmesser, eine tolle Aufnahme – des Saturn während der Opposition und gleichzeitig grosser Ringöffnung – zu machen. Dieser Trend wird sich sicherlich fortsetzen und die Preise wohl auch hier purzeln lassen. Allerdings verliert die Astrofotografie damit schon auch ihren Reiz, alles selbst machen zu müssen und man nähert sich immer mehr den Profis an, die schon seit Jahren Astronomie nur nach am Computer machen.

Dueblin: Herr Süssli, ich bedanke mich herzlich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen habe, wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und viel Erfolg bei Ihren Astrofotografie-Projekten auf der ganzen Welt! Ich freue mich, weitere tolle Bilder des Weltalls von Ihnen geniessen zu dürfen!

http://www.nightskyphoto.ch/

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