Johannes Czwalina

Johannes Czwalina

Dueblin: Herr Czwalina, Sie setzen sich seit vielen Jahren intensiv mit Managerpersönlichkeiten auf allen Stufen aber auch mit Politikern auseinander. Zu Ihrer Klientel gehören sowohl erfolgreiche Johannes Czwalina: Spitzenmanager von Weltkonzernen als auch Menschen, die in ihrem Leben auf irgendeine Weise gescheitert sind. Was suchen und was finden diese Menschen bei Ihnen?

Johannes Czwalina: Bei mir hat auch Ohnmacht seinen Platz, und es spricht sich herum, dass Gespräche über seelisches Befinden keine Schwächezeichen, sondern Grundlage für berufliches Wohlergehen und für die heute geforderte Professionalität sind. Auf dem Arbeitsmarkt beisst man und man wird gebissen, aber es gibt wenige Plätze, wo einem kompetent Wunden verbunden werden, ohne dass dabei die wirtschaftlichen Zusammenhänge ausgeblendet werden. Viele Menschen schätzen Gespräche in einer vertrauensvollen Umgebung. Eine innere Stimme sagt ihnen, dass sie die Auseinandersetzung mit sich selber und der Welt angehen müssen. Andere Menschen finden den Weg zu mir über meine Bücher und vor allem durch ‚Mund zu Mund-Propaganda‘.

Dueblin: Als Theologe und Unternehmensberater kennen Sie den Erfolg aber auch dessen Schattenseiten bis hin zum Scheitern. In welchem Verhältnis stehen Erfolg und Misserfolg?

Johannes Czwalina: Viele Führungskräfte haben die Tendenz, sich die Wirklichkeit nicht einzugestehen, dass zwischen grösstem Erfolg und grösster Niederlage nur ein kleiner Schritt ist. Ich erinnere mich an eine Karikatur, die man mir anlässlich meiner Maturität schenkte. Darauf sah man zwei Schüler mit ihrem Lehrer, die nach einer mühevollen Wanderung auf der Bergspitze stehen und ihren Blick in den Abgrund richten. Das Bild trug die Überschrift ‚Bis hierher hat Euch die Schule begleitet, den Schritt ins Leben müsst ihr nun selber machen.‘

Dueblin: Was raten Sie Managern bezüglich dieser Feststellung? Wie können diese es vermeiden, den falschen Schritt zu machen?

Johannes Czwalina: Angesichts dieser Tatsache sollte unsere Lebenseinstellung von Demut geprägt sein und wir sollten jenen nicht mit Überheblichkeit begegnen, die ‚gescheitert‘ sind. Demut ist eine bedeutende Waffe gegen den Absturz. Wir kennen alle das Sprichwort ‚Hochmut kommt vor dem Fall‘. Wer diesbezüglich in seiner Gesinnung ‚geerdet‘ ist, fällt nicht tief, wenn er fällt, weil er bereits unten ist. An Demut fehlt es vielen, wenn sie sich in einer zerbrechlichen Phase des Erfolgs über andere erheben.

Johannes Czwalina - Wer mutig ist der kennt die Angst

Johannes Czwalina – Wer mutig ist der kennt die Angst

Dueblin: Jeder Mensch beurteilt Erfolg und Nichterfolg unterschiedlich. Dennoch, es scheint, als ob Geld und Macht die einzig gültigen Messgrössen für Erfolg seien. Wie definieren Sie persönlich Erfolg?

Johannes Czwalina: Grundsätzlich kann man sagen, dass Erfolg ein Empfinden ist, welches die Menschen Frieden und Wohlgefühl erfahren lässt! Erfolg ist Erfüllung. Erfüllung ist die Messlatte! Ein erfolgreiches Leben ohne Erfüllung ist kein erfolgreiches Leben! Viele sogenannte erfolgreiche Leute sind unerfüllte Menschen und deshalb für mich erfolglos. Gescheiterte Menschen, die Frieden gefunden haben mit sich selbst, haben oft mehr vom wirklichen Erfolg verstanden als manche ‚Erfolgreiche‘. Diese gescheiterten Menschen kennen die Kardinalfrage. Diese lautet: Was erhöht unser Glück und das Gefühl für den Sinn unseres Daseins? Die normale Ökonomie geht tatsächlich stillschweigend davon aus, dass ‚mehr Geld und Mehr Macht gleich mehr Glück‘ ist und beides parallel verläuft. Das ist eine Mogelpackung, an die zu viele Menschen glauben. Ich pflege intensiven Kontakt mit einem Clochard in Basel, dem kürzlich wegen Alkohol und Kälte der Fuss amputiert wurde. Wir telefonieren miteinander und einmal im Monat unternehmen wir etwas zusammen. Sie können mir glauben, dass dieser Mensch nach allem Erlebten mehr vom Leben begriffen hat als manch andere Person, die materiell gut betucht ist.

Dueblin: Scheitern wird in unserer Gesellschaft tatsächlich oft mit materiellem Misserfolg gleichgesetzt. Diese Idee ist fest in unseren Köpfen verankert. Oft hat man jedoch den Eindruck, dass diejenigen Menschen, die nicht viel haben, glücklicher sind als andere.

Johannes Czwalina: Geld und Glück gehen nicht parallel einher. Wenn wir vom Scheitern sprechen, sollten wir uns zuerst Klarheit darüber verschaffen, was wir unter Erfolg verstehen und was wir unter Misserfolg verstehen. Viele bemerken sehr spät, dass sie mit ihrem angeblichen Erfolg leere Siege errungen haben. Sie erreichten ihren Erfolg auf Kosten von Dingen, von denen sie zu spät bemerkten, dass sie ihnen sehr wichtig waren. Wie viele Menschen opfern in der ersten Hälfte ihrer Karriere ihre Gesundheit, um einen Haufen Geld zu verdienen! In der zweiten Hälfte der Karriere braucht es dann diesen ganzen Haufen Geldes, um die Gesundheit zurückzugewinnen. Für den Erfolg opfern sie somit das, was man durch keinen Erfolg bezahlen kann. Diese Menschen nehmen in Kauf, dass ihre Familie zerrüttet, dass sie schlecht schlafen, dass sie übermüdet sind, dass sie ihre Wertebasis, die ihnen Selbstwertgefühl gegeben hat, angeknackst haben, dass sie Freude eingebüsst und ihr Wohlgefühl verloren haben. Die glücklichsten Menschen, die ich gesehen habe, sind diejenigen, die irgendeine Aufgabe für andere hatten, die über ihre eigene Selbstverwirklichung hinausging. Das bezeichne ich als ‚Lebensaufgabe‘. Diese Menschen haben gewissermassen als Beigabe ihres Tuns Glück empfunden. Mit reich oder arm sein hat dies nicht viel zu tun. Menschen jedoch, die nur das Ziel des eigenen Glücks haben, bleiben enttäuscht. Glück ist somit immer nur Begleitgabe, Zusatzgeschenk, also eine Folge eines Lebens für andere.

Dueblin: Wir orientieren uns in aller Regel am Erfolg und an den erfolgreichen Menschen. Wären gescheiterte Menschen bessere Vorbilder?

Johannes Czwalina: Ja, Das klingt überheblich, aber Menschen, die ehrlich eine Krise durchgestanden und ehrliche Bilanz gezogen haben, gehen stärker durchs Leben und können besondere Leadership-Fähigkeiten entwickeln. Voraussetzung ist, dass sie bereit sind, an ihrem eigenen Charakter zu arbeiten und ehrlich mit sich selbst umzugehen. Man kann die Chance einer Krise verpassen. Viele wollen am Anfang einer Beratung gar nicht die Chance wahrnehmen, die sich ihnen bietet, sondern wollen nur, dass man ihnen den bisherigen Karriereweg fortsetzen hilft, mit anderen Worten den ‚Teppich flickt‘. Starke Menschen brauchen starke Krisen, um sich weiter zu entwickeln und aus ihrem Gefängnis auszubrechen.

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Dueblin: Was zeichnet Ihres Erachtens eine gute Managerin oder einen guten Manager aus? Wann schaffen es diese Menschen, trotz enormem Leistungsdruck, ein gutes und ausgeglichenes Leben zu führen?

Johannes Czwalina: Solche Menschen zeichnet Selbstwertgefühl aus. Menschen mit intaktem Selbstwertgefühl, können sagen: ‚Ich leiste weil ich wertvoll bin und nicht, damit ich wertvoll bin.‘ Ein ausgeglichenes Leben führen können Menschen mit eigenen Werten. Diese Werte sind wie Bojen im stürmischen Meer. Die Werte bleiben auch in schwierigen Zeiten erhalten und werden nicht einfach beim nächsten Unwetter weggeschwemmt. Viele wollen ihre Anerkennung nur von ihrer Leistung ableiten und kommen spätestens dann in eine persönliche Krise, wenn sie aufgrund der abnehmenden Leistungskraft dazu nicht mehr in der Lage sind oder wenn sich die Umstände ändern. Solche Leute stehen ständig unter Strom und halten sich für unentbehrlich. Die Welt und unsere Friedhöfe sind voll von unentbehrlichen Managern. Gute Manager sind authentische Manager: Es gibt viele, die alle Managementkurse besucht haben, alles richtig machen und trotzdem nur schlechte Resultate produzieren. Die Mitarbeiter wollen nicht die geschliffenen, digitalen Typen. Sie wollen Persönlichkeiten spüren. Ich gebe dem ungeschliffenen aber authentischen Manager die grösseren Überlebenschancen. Die Leute akzeptieren eher ungeschliffene Merkmale, als sich an einem Stamm halten zu müssen, der so glatt geschliffen ist, dass man nichts mehr spürt. Vorige Woche fragte ich einen Vorstand eines weltweiten Industrieunternehmens, ob er die schwierige Situation als Challenge für Lebensqualität nutzen möchte, oder sich weiterhin seine moralischen Knochen solange brechen lassen wolle, bis er auch für eine weitere Periode in diesen Sarg seiner Vorstandsetage passe. Natürlich ist das nicht immer so krass. Ich kenne Vorstände, zu denen ich aufblicke, die grandiose Jobs machen und ihre Werte ständig vor Augen haben.

Dueblin: Hat man in der Scholastik (Mittelalter) noch versucht, Glauben und Wissenschaft verbinden zu können, hat sich mit der Aufklärung der Glaube von der Wissenschaft weitgehend gelöst. Verfolgt man heute Interviews oder Aussagen von Menschen aus der Wirtschaft und der Politik, könnte man manchmal annehmen, dass immer wieder versucht wird, Wirtschaft und Glauben zusammenzubringen. Wie beurteilen Sie heute das Verhältnis zwischen Glauben und Wirtschaft?

Johannes Czwalina: In der christlich abendländischen Glaubensauffassung steht über der Würde des Gewinns die Würde des Menschen. In diesem Prozess der Entpersonalisierung befinden wir uns gerade. Wenn diese Würde durch unser wirtschaftliches Umfeld beeinträchtigt wird, muss jeder einzelne den Weg für sich selbst finden, um diese Würde wiederzuerlangen und neu zu definieren. Die Lebensqualität der Arbeitenden muss immer die höhere Priorität haben als die Qualität des Produktes ihrer Arbeit. Wenn der Mensch nicht mehr zählt als sein Produkt, wird in gleichem Masse der Käufer, der das Produkt kaufen soll, degradiert, und auch sein Wert wird abnehmen. So wird man sich langfristig die eigene Basis entziehen. Es gibt nur dann einen Weg zurück, wenn wir unser Menschenbild und unsere Ziele ändern und hinterfragen, ob unser Ziel die Geldvermehrung oder letztlich das Wohlbefinden der Menschen ist.

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Dueblin: Was geben Sie einer jungen motivierten Managerpersönlichkeit mit auf den Weg, damit diese mit sich selber und Ihrer beruflichen Tätigkeit glücklich werden kann?

Johannes Czwalina: Suchen Sie Ihr Glück nicht in der Karriere, sondern fragen Sie sich vorher gründlich, welche Elemente für das eigene Glück im Leben wichtig sind und wie Sie diese Elemente in Ihre Karriere miteinbeziehen können. Suchen Sie selber nach dem Sinn und lassen Sie sich nicht abspeisen mit dem Sinn, den Ihre Arbeitsstelle abwirft. Sie müssen der Arbeitsstelle und Ihren Mitarbeitern Sinn vermitteln und nicht umgekehrt. Es fällt mir manchmal schwer, mit aufrechtem Blick der jungen Generation Ratschläge zu erteilen. Es gibt junge Menschen, die dem Frust dieser Einseitigkeit schon als Kinder ausgesetzt waren. Sie haben keine Lust mehr, sich nach dem Muster ihrer Eltern allein durch Arbeit Anerkennung zu schaffen und setzen stattdessen das Thema Lebensqualität ganz oben auf ihre Prioritätenliste. Sie wollen, dass ihre eigenen Kinder sie nicht genauso vermissen werden, wie sie uns, also die ältere Generation, vermisst haben.

Eine junge Studentin sagte mir vor kurzem: ‚Arbeit ist mir wichtig, und ich möchte wirklich mein Bestes geben. Aber Arbeit ist nicht das, wofür ich arbeite. Ich arbeite, um mir die anderen Werte im Leben leisten zu können.‘ Mir gefällt diese Einstellung. Sie muss übrigens so denken, denn sie kann nicht mehr davon ausgehen, dass Fleiss automatisch eine sichere Lebensstellung und Sicherheit nach sich zieht. Während in der Vergangenheit Fragen der Wirtschaft das gesellschaftliche Klima bestimmten, so hoffe ich, dass durch die nachfolgende Generation eine Phase eingeleitet wird, die mehr von der Sinnfrage beherrscht und von der Faszination bestimmt sein wird, die aus diesem Fragekomplex entsteht. Die Menschen die hierauf den jungen Nachwuchskräften glaubwürdige, zukunftsweisende Antworten zu geben vermögen, werden davon profitieren. Das ist es, was ich jüngeren Menschen auf Ihre Frage hin mitgeben möchte.

Sehr geehrter Herr Czwalina, ich bedanke mich im Namen von Xecutives für dieses Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

(C) 2007 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.

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Literaturliste (Deutsche Nationalbibliothek):

1. „Wenn ich nochmal anfangen könnte …“
Moers : Brendow, 2006, 2., überarb. und erw. Aufl. ISBN 978-3-86506-097-6
2. Zwischen Leistungsdruck und Lebensqualität
Czwalina, Johannes. – Oberursel : Who’s Who Media-Projektgruppe, 2003, ISBN 3-936963-00-2
3. Was ich anders machen würde …
Frankfurt am Main : Frankfurter Allg. Buch, 2002, ISBN 3-89843-064-2
4. Der Markt hat keine Seele
Czwalina, Johannes. – Frankfurt am Main : Frankfurter Allg. Buch, 2001, ISBN 3-933180-78-3
5. Wenn ich noch einmal leben könnte …
Czwalina, Johannes. – Basel : GS-Verl., 2000, ISBN 3-7185-0182-1
6. Karriere ohne Sinn?
Czwalina, Johannes. – Gräfelfing : Resch, 1998, 2. Aufl., ISBN 3-930039-56-7