Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier
Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier

Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier, geboren 1936, langjähriger CFO und VR der Roche-Gruppe und Verwaltungsratspräsident von Givaudan sowie VR vieler weiterer Firmen, gehört zu den bekanntesten und erfahrensten Schweizer Unternehmerpersönlichkeiten. Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier ist u.a. – nach seiner Pensionierung – Gründer von HBM BioVentures/HBM Healthcare Investments, das Unternehmen im Bereich der Medizin und Medizinaltechnik auf der ganzen Welt langfristig mit Risiko- und Wagniskapital ausstattet. Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier gibt im Interview Auskunft zur Corona-Krise. Er zeigt auf, wie sich die Krise wirtschaftlich auswirken könnte und was es wirtschaftlich und gesellschaftlich auch in Zukunft zu beachten gilt.

Xecutives.net: Herr Meier, Sie blicken auf eine interessante Postpensions-Karriere als Unternehmer zurück und haben in den letzten Jahrzehnten vielen Firmen und Institutionen geholfen, grosse Krisenmomente zu überstehen, gerade auch Start-up-Unternehmen, die Sie begleiten. Wie nehmen Sie zurzeit die Corona-Krise wahr?

Henri B. Meier: Vorerst war ich sehr überrascht zu vernehmen, dass die meisten Länder überhaupt nicht auf eine Pandemie vorbereitet waren, sind doch weder Viren noch Pandemien etwas Neues. Die dem Ausbruch folgende Überreaktion ist verständlich angesichts der extremen «Aggressivität» dieses Virus. Aus heutiger Sicht würde man Kinder weniger einsperren und von den «Älteren», wie mir, erwarten, dass sie in ihrem eigenen Interesse zurückhaltend sind und sich nicht unnötig exponieren. Die «arbeitende» Generation ist angeblich wenig gefährdet und könnte unter Beachtung der Vorsichtsregeln und Eigenverantwortung in die Freiheit entlassen werden, weil ja alle durch Infektion immun werden müssen, sodass die Aufgabe nur darin besteht, die Infektionen tief zu halten, bis Impfungen möglich sind. Als Leitfaden für die Bürger eines freien Landes gelten weiterhin die Worte von Benjamin Franklin: «Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren».

Xecutives.net: In den Medien und in den sozialen Netzwerken melden sich Tausende von Menschen zum Thema. Das Meiste ist irrelevant, vieles gar falsch. Die Beiträge zeigen jedoch, dass die Krise viele Menschen in verschiedenster Hinsicht betrifft. Es stellen sich gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Fragen, die vorher wenig Aufmerksamkeit hatten und die man möglicherweise auch verdrängt hat. Was unterscheidet diese Krise von anderen Krisen, etwa der Finanzkrise oder der Ölkrise in den Siebzigerjahren?

Henri B. Meier: Den Hauptunterschied sehe ich darin, dass eine Pandemie jeden individuell bedroht, aber der «Feind Virus» nur mit gemeinsamer Anstrengung unter Kontrolle gebracht werden kann. Bei Finanzkrisen sind gewöhnlich v.a. die Zentralbank, das Finanzministerium, der Währungsfonds und sekundär die Finanzinstitute gefordert. Der Durchschnittsbürger kann in Finanzkrisen wenig zur Lösung beitragen.

Xecutives.net: Egal wie man die Corona-Pandemie interpretiert, könnten wir die Krise gemeinsam als Zeichen verstehen, Änderungen in unserer Gesellschaft ins Auge zu fassen und die Welt anders zu betrachten? Ist das bei dieser Krise Ihres Erachtens eher der Fall als bei anderen Krisen, die die Menschheit durchgemacht hat?

Henri B. Meier: Diese «Krise» wurde durch einen natürlichen immer wiederkehrenden Vorgang -nämlich den Sprung eines (vieler!) Virus vom Tier auf den Menschen – ausgelöst. Das wird auch in der Zukunft passieren und ist durch den Menschen wohl kaum zu verhindern. Wir sollten uns aber gegen solche natürlichen Vorfälle viel besser vorbereiten.

Dagegen könnten internationale Finanzkrisen, die übrigens normalerweise von den USA ausgehen, fast immer vermieden werden. Denken Sie an die Vergabe von Hypothekardarlehen an Hausbesitzer, von denen man wusste, dass sie diese nicht bedienen und zurückzahlen konnten und auf diese vorhersehbaren Ausfälle mit Optionen spekulierte – das wäre leicht zu vermeiden!

Xecutives.net: Was halten Sie von den Massnahmen der Politik, die bis heute umgesetzt worden sind? Hat der Bundesrat Ihres Erachtens einen guten Job gemacht? Ist das Einhergehen von Politik und Wirtschaft Ihres Erachtens bis heute gelungen?

Henri B. Meier: Im Rückblick kann man leicht kritisieren! Der Wissensstand als Entscheidungsgrundlage war anfänglich sehr dürftig. Kritik ist angebracht bei der schlechten Vorbereitung/Planung gegen ein offensichtliches Risiko. Ich beobachte das gleiche Phänomen der heutigen Schweiz auch bei der Altersvorsorge und der Landesverteidigung.

Xecutives.net: Die Corona-Krise dürfte ihre wirtschaftlichen Spuren hinterlassen. Wo erkennen Sie die Herausforderungen, die auf uns zukommen werden? Wie kann man diese Herausforderungen angehen?

Henri B. Meier:  Es ist offensichtlich, dass Arbeitsplätze und Einkommen verloren gehen – zum Teil unwiederbringlich. Neue Arbeitsplätze werden durch Investitionen in die Realwirtschaft geschaffen.  Der Bundesrat hat durch ungewöhnlich rasche und unbürokratische Zurverfügungstellung von Krediten den kurzfristigen Erhalt vieler Arbeitsplätze ermöglicht. Um als Ersatz für die definitiv verlorenen Arbeitsplätze neue zu schaffen, sind Investitionen erforderlich – idealerweise in Jungunternehmen, möglichst an der Spitze des technologischen Fortschritts –, damit wir in 10 Jahren eine Nasenlänge voraus sind, wenn die tüchtigen asiatischen Länder unsere heutigen Produkte zum halben Preis herstellen werden. Die Motion Graber hat das mit parlamentarischer Unterstützung schon vor Jahren gefordert [Anmerkung der Redaktion: s. Interview mit Konrad Graber aus dem Jahr 2014].

Xecutives.net: Was raten Sie KMU‘s und deren Führung in der Schweiz, die von der Krise ebenfalls betroffen sind und bei denen Unsicherheit herrscht? Gibt es allgemeingültige Prinzipien, die sie befolgen können; Prinzipien, die auch bei anderen Krisen angebracht und nützlich sind?

Henri B. Meier: Die KMU’s sind die grössten Arbeitgeber und entscheidend für die Konjunktur. Als Hauptschwäche unseres Finanzsektors sehe ich die Bereitstellung von Risikokapital. Seit den Zeiten Napoleons basieren unsere europäischen Finanzsysteme auf Kreditbanken. Nur die angelsächsischen Länder haben Institutionen und Instrumente für das Risikokapital (Venture Capital) geschaffen. In den USA ist Venture Capital (VC) verantwortlich für die technologische Führerschaft der USA, welche Europa versucht mit Staatsgeldern einzuholen.

Venture Capital Investitionen haben in den USA mehr Arbeitsplätze geschaffen, als alle anderen Investitionen zusammen. Sie verursachen den grössten Teil des Wirtschaftswachstums der USA. Begonnen hat dort alles mit dem Small Business Act und verfestigt durch den Elisa Act – eine Ermunterung für Pensionskassen in VC zu investieren. Die Beiträge der KMU’s an ihre Pensionskassen sollten wenn auch nur in Promille wieder für diese fruchtbar gemacht werden. 

Xecutives.net: Was erkennen Sie in Bezug auf Start-up-Unternehmen? Was kann die Politik und die Wirtschaft machen, um kleine und oft noch nicht ausgereifte „Pflanzen“ mit möglicherweise viel Potential nicht zu gefährden? Müssen diese Unternehmen allenfalls anders behandelt werden als andere?

Henri B. Meier: Start-up Unternehmen brauchen Risikokapital, weil im Auftrag der Ungewissheit ein Rückzahlungsversprechen unmoralisch wäre. Eine Risikokapitalszene (Venture Capital) ist zwar rasch im Wachsen, v.a. mit finanziellen Mitteln aus dem Ausland, aber auch proportional ein Zwerg im Verhältnis zu den USA, wo Pensionskassen – dank ihrer langfristigen Mittel – die wichtigsten Finanzquellen von Venture Capital sind.

In der Schweiz genügen die Finanzmittel von «Family, friends and fools» für die Saat. Aber für jene für die Schweiz wichtigen kapitalintensiven Projekte, die wie im Fall der Biotechnologie rasch mehrere CHF 100 Mio. bis zur Marktreife erfordern, reicht das nicht. So grosse, langfristig zur Verfügung haben v.a. die kollektiven Spartöpfe, wie z.B. die Pensionskassen. Hier wäre der Bundesrat gefordert. Der Auftrag des Parlaments liegt schon lange vor (Motion Graber).

Xecutives.net: Die Schweiz ist aufgrund ihrer funktionierenden Wirtschaft und des kleinen Raumes privilegiert. Wie schätzen Sie die Lage in anderen Ländern ein, bspw. in den USA und in China?

Henri B. Meier: Dieser Privilegierung steht auf der anderen Seite die grosse Abhängigkeit von den Auslandmärkten entgegen. Sie erwähnen zwei wichtige Auslandmärkte: USA und China. Der bevorstehende Rückgang in der Wirtschaftsleistung dieser zwei Länder als Folge der Pandemie aber auch des nationalistisch geprägten Protektionismus hat direkte negative Folgen auch auf die Wirtschaftsleistung und somit den Wohlstand der Schweiz.

Xecutives.net: Sehr geehrter Herr Meier, ich bedanke mich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen haben und wünsche Ihnen Gesundheit und weiterhin viel Erfolg!

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