Dr. Kathrin Amacker-Amann

Dr. Kathrin Amacker-Amann

Dr. Kathrin Amacker-Amann, Jahrgang 1962, wurde im Jahr 2007 als Vertreterin der CVP in den Nationalrat gewählt. Die promovierte Pharmazeutin (Dr. phil. II) startete ihre berufliche Karriere als Projektleiterin in der Ciba-Geigy, welche im Jahr 1997 mit der Sandoz zur heutigen Novartis fusionierte. Als Präsidentin der Angestelltenvertretung und Vizepräsidentin der Pensionskasse der Novartis beschäftigte sie sich schon sehr früh mit Fragen der Diversity in Unternehmen. Dr. Kathrin Amacker-Amann setzt sich heute vollberuflich in der Novartis mit Themen des Diversity Managements auseinander. Ziel ist es, Menschen aus verschiedensten Kulturen und mit verschiedensten Ansichten und Gesinnungen wirtschaftlich sinnvoll einzusetzen. Im Gespräch mit Christian Dueblin spricht Dr. Kathrin Amacker-Amann über Ihre Karriere als Politikerin und Naturwissenschaftlerin sowie über ihre Tätigkeit als Diversity Managerin in einem international tätigen Pharmaunternehmen.

Dueblin: Sehr geehrte Frau Dr. Amacker-Amann, im Jahr 2007 sind Sie als CVP-Nationalrätin gewählt worden. Zuvor waren Sie in Baselland Kantonalpräsidentin der CVP. Bis hierher scheint alles auf eine ordentliche politische Karriere hinzudeuten. Sie sind jedoch auch promovierte Pharmazeutin, haben als Arbeitnehmervertreterin in der Ciba-Geigy und später in der Novartis gearbeitet, die Gleichstellungskommission des Kantons Baselland präsidiert und sich nebst Ihren familiären Pflichten, Sie sind verheiratet und haben drei Kinder, auch intensiv mit Kunstturnen beschäftigt. Wie kamen Sie dazu, eine politische Karriere einzuschlagen, die, so scheint es mir auf alle Fälle, nicht langfristig geplant war?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Die ersten Kontakte zur Politik fanden in einem E-Mail-Austausch mit dem damaligen Präsidenten der CVP des Kantons Baselland statt. Ich wollte nicht einfach Mitglied einer Partei werden, sondern hatte konkrete Vorstellungen, wo und wie ich mich in einer Partei engagieren wollte. Ich kannte fast niemanden in der CVP. Das Leitbild sagte mir aber sehr zu. Ich wurde auf meine E-Mail hin eingeladen, mit dem Präsidenten ein Gespräch zu führen. Das war im Grunde genommen ein Blind Date (lacht). Das Gespräch verlief sehr positiv. Der Parteipräsident erklärte mir die politische Landschaft in der CVP und im Kanton Baselland ganz generell. Schon bald darauf fing ich an, mich in der kantonalen Parteileitung zu engagieren. Anfänglich war das für mich nicht ganz einfach, da ich viele Menschen und Vorgänge nicht verstand.

Dueblin: Wahlen sind Ihnen nicht fremd. Sie wurden sehr früh in die Arbeitnehmervertretung der damaligen Ciba-Geigy gewählt. Wie kam es zu diesem Engagement?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Ich habe eine wissenschaftliche Laufbahn verfolgt. Nach meinem Studium war ich Projektleiterin in der Produktion der damaligen Ciba-Geigy. Ich promovierte und arbeitete viel im technischen Bereich. Ich war auch für die Validierung zuständig. Im Jahr 1992 kam ich mit der Arbeitnehmervertretung in Kontakt. Mir wurde von einer Person in der Quality Assurance ein Ordner übergeben und ich wurde angefragt, ob ich dieses Dossier übernehmen könne. Man brauche einen Standortvertreter, der sich für die Belange der Arbeitnehmenden einsetze. Ich arbeitete in der Folge am Mitwirkungsreglement der Ciba-Geigy. Die Firma war sehr fortschrittlich. Aufgrund dieses einen Ordners, den ich also updaten sollte, stand ich plötzlich für Wahlen in die Arbeitnehmervertretung zur Debatte. So rutschte ich in die Sache rein.

Dueblin: Es kam zum Merger zwischen der Ciba-Geigy und der Sandoz, ein aus heutiger Sicht gelungenes Unterfangen. Es war damals aber nicht ganz einfach, zwei verschiedene Kulturen zusammenzubringen. Was war Ihre Rolle als Arbeitnehmervertreterin in der neuen Novartis?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Ziel des Novartis-Managements war es, rasch eine einheitliche Vertretung für die Angestellten aufzubauen. Ich trat damals gegen einen Gewerkschafter an, der einen guten Namen genoss und viel bekannter war als ich. Ich erhielt aber die Mehrheit der Stimmen und wurde Präsidentin der Arbeitnehmervertretung der neu gegründeten Novartis. Der Wahlkampf war für mich anfänglich sehr abschreckend und ich hatte mir damals ernsthaft überlegt, ob ich mich wirklich darauf einlassen wollte. Ich nahm mir zwei Wochen Bedenkzeit und machte mir meine Gedanken darüber. Schliesslich sagte ich zu. Die Arbeitnehmervertretung kann mit einem internen Parlament verglichen werden. Wie Sie bereits sagten, mussten zwei Unternehmenskulturen zusammengeführt werden. Das war eine ähnliche Situation wie rund sechs Monate später bei der Fusion der Bankgesellschaft und dem Bankverein zur UBS. Es wurden Stellen abgebaut und ich war bei meiner Arbeitsaufnahme sofort in viele Projekte und Beratungen involviert. Immer wieder wurde ich nach meiner politischen Zugehörigkeit gefragt, was mich anfänglich wunderte, denn ich hatte mir bis dahin nie überlegt, einer Partei beizutreten. Später wurde ich auch in den Stiftungsrat der Pensionskasse der Novartis gewählt. Dort setzte ich mich intensiv mit den Belangen der beruflichen Vorsorge auseinander. Es ging um ganz aktuelle politische Themen wie die Altersvorsorge, die gesellschaftliche Solidarität und ganz generell die Entwicklungen in der Gesellschaft, die auch im Parlament der Schweiz diskutiert wurden und mich sehr interessierten. So kam es zu meinem Interesse für die Politik. Ich wollte mich aktiv einbringen und beschloss, der CVP beizutreten. Auch die FDP wäre eine Option gewesen. Das Leitbild der CVP sagte mir jedoch mehr zu.

Dueblin: Was war in diesem Leitbild ausschlaggebend dafür, dass Sie sich für die CVP entschieden haben?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Ich wollte Brücken bauen und einer Partei beitreten, die Standpunkte vertritt, die mit meiner persönlichen Ansicht kompatibel waren. Natürlich hat jede Partei Ansichten, die man teilt und solche, die man nicht teilt. Die CVP jedoch passte am besten in mein Weltbild. Das Leitbild der CVP beinhaltet Aspekte einer liberal-sozialen Einstellung. Diesen Begriff gab es damals noch nicht. Der liberal-soziale Ansatz sagt mir auch heute noch sehr zu.

Dueblin: Die CVP hat ihre Wurzeln in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts und geht auf eine katholische Minderheitenbewegung zurück. Die Partei hat sich in den letzten Jahren sehr schwer getan mit ihrer Positionierung. Kaum einer Partei ist es so schwer gefallen, einheitlich aufzutreten. Das Finden der Mitte in der CVP wurde auch in den eigenen Reihen sehr kritisiert. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Es ist richtig, dass die Partei in einem religiösen Minderheitenkampf entstand. Im Zentrum standen die Interessen der Katholiken in der Schweiz. Die CVP setzt sich auch heute noch für christliche Werte ein. Sie hat sich schon vor vielen Jahren mit dem Stellenwert der Familie in unserer Gesellschaft, mit der Gesellschaftsentwicklung in der Schweiz ganz generell, mit Fragen der Ethik und mit dem Umgang mit Minderheiten auseinandergesetzt. Auch der Umgang unserer Gesellschaft mit älteren Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben sind, wurde von der CVP schon sehr früh diskutiert. Die CVP war tatsächlich in einem langen Findungsprozess. Im Jahr 2007 konnte dieser jedoch weitgehend abgeschlossen werden. Uneinigkeiten gibt es in jeder Partei. Die Frage ist, ob man sich über die Kernanliegen einig werden und man konstruktiv miteinander sprechen und umgehen kann. In einer Legislatur muss eine Fraktion eine gewisse Einheit an Prioritäten zustande bringen. Ich denke mir, dass dies der CVP gut gelungen ist. Die zentralsten Themen der CVP sind heute die Familie, die Ökologie, die Bildung und die Sicherheit.

Dueblin: Wenn man Ihr politisches Engagement betrachtet, kann man Ihnen sicher nicht vorwerfen, Sie seien dogmatisch. Herr Prof. Dr. Rolf Dubs meinte im Interview mit Xecutives.net, man sollte aus der Wirtschaftskrise Lehren ziehen. Eine sei beispielsweise, dogmatische Politiker nicht mehr zu wählen, weil sie für unsere Gesellschaft nachteilig seien. Was meinen Sie dazu?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Es ist sicher so, dass es viele Dogmatiker gibt. Verhaltensweisen wie das Vertreten von festgefahrenen Meinungen, das Ausblenden der Realität und das Missachten neuer Entwicklungen führen dazu, dass jemand dogmatisch wird. Es verhält sich in der Politik wie in einem Unternehmen. Die Hauptarbeit wird nicht von den Dogmatikern verrichtet. Es ist einfach, Schlagwörter einzubringen oder Meinungen zu vertreten, die nicht fundiert und nicht nachhaltig sind. Die Knochenarbeit leisten sowohl in der Politik als auch in Unternehmen diejenigen Menschen, die sich mit den nachhaltigen Lösungen auseinandersetzen. Das sind meines Erachtens Menschen, die ganz und gar nicht Dogmatiker sind. In der Regel sind sie es, die ein Dossier fundiert bearbeiten, die nötigen Entscheide fällen und zu einem guten Schluss bringen.

Dueblin: Als Diversity Managerin müssen Sie Clichés und Vorurteile beseitigen. Was beinhaltet Diversity Management für Sie und was konnte die Novartis mit Diversity Management in Bezug auf das Gedeihen der Firma in den letzten Jahren verändern?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Für Diversity Management gibt die Firma Geld aus. Im Gegenzug erwartet sie ein Resultat. Beim Merger der Ciba-Geigy und der Sandoz gab es Gleichstellungsbeauftragte. Es handelte sich um Stabsstellen, welche sich vorwiegend mit Genderfragen auseinandersetzten. Das hat sich in den letzten Jahren alles sehr verändert. Heute sprechen wir von Diversity Management. Es geht nicht mehr nur um Genderfragen, sondern um viel mehr Aspekte der Verschiedenartigkeit von Menschen. Man akzeptiert die Tatsache, dass die Menschen unterschiedlich sind, heute viel besser. Das Management ist diesbezüglich sensibilisiert und ist sich bewusst, dass gute Resultate nur erzielt werden können, wenn alle Angestellten zusammen an einem Strick ziehen. Hier auf dem Campus der Novartis sind 60% der Angestellten Ausländer und es sind rund 90 Nationalitäten vertreten. Das stellt das Unternehmen vor grosse Herausforderung. Zuerst geht es beim Diversity Management jedoch nicht um die anderen, sondern um sich selbst. Man muss verstehen, wer man ist und woher man kommt, um mit anderen Menschen und anderen Kulturen umgehen zu können. Man muss sich fragen, warum man beispielsweise in einem Rekrutierungsgespräch so und nicht anders reagiert oder warum man bei einer Beförderung dieser und nicht einer anderen Person den Vorrang gibt. Der erste Schritt im Diversity Management ist somit der Schritt zur Selbsterkenntnis. Oft passiert es, dass einem etwas komisch vorkommt oder man etwas als nicht gut empfindet, vielleicht nur, weil man es nicht kennt. Solche Empfindungen haben Auswirkungen auf die Entscheide, die man fällt. Es kann sich dabei beispielsweise um religiöse Fragen, die sexuelle Orientierung oder die Hautfarbe handeln. Es geht somit auch um den Umgang mit den eigenen Vorurteilen. Ziel des Diversity Managements ist es, den besten Weg für das Unternehmen zu finden. Das „Humankapital“ muss so eingesetzt werden, dass das Unternehmen vorwärtskommt. „Diversity and Inclusion“ ist eine globale Initiative aus der angelsächsischen Geschäftswelt und geht vor allem in den USA auf die Auseinandersetzung zwischen Weissen und Schwarzen zurück. Heute geht es allerdings – wie bereits erwähnt – nicht mehr nur um die Rasse, sondern auch um viele anderen Themen. Die international tätigen Unternehmen haben diese Auseinandersetzung nach Europa gebracht. Heute beobachten wir, dass die Diversity and Inclusion-Frage auch in KMUs und in der öffentlichen Verwaltung behandelt wird. Basel Stadt baut gerade eine „Diversity Fachstelle“ auf. Es ist ein grosser Prozess im Gange, der in internationalen Unternehmen schon vor vielen Jahren begonnen hat und den ich auch in der Verwaltung sehr begrüsse.

Dueblin: Wo könnte die Schweiz von einem Unternehmen wie der Novartis, einer international tätigen Firma, die sich schon seit vielen Jahren mit Diversity-Fragen auseinandersetzt, profitieren?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Beide können voneinander lernen. Die Schweiz ist ein Land mit vielen Kulturen und einer sehr hohen Anzahl von Ausländern. Sie war immer auf der ganzen Welt wirtschaftlich tätig und wirtschaftlich eng mit anderen Ländern und Kulturen verknüpft. Die Schweiz ist in einem gewissen Sinne ein Modell für ein Diversity Management. Sie ist auf dem Weg, die Gemeinsamkeiten zu finden, die dieses Land stark machen und am Leben erhalten. In der Novartis kommen, wie bereits erwähnt, rund 90 Nationalitäten zusammen. Das spürt man im Arbeitsalltag. Ich habe vorher den Merger der Ciba-Geigy und der Sandoz angesprochen. Man könnte sagen, es sei nur der Rhein zwischen den beiden Unternehmen gewesen. Das trifft allerdings nicht ganz zu. Die Kulturen waren sehr verschieden. Die Idee war, aus diesen beiden Kulturen etwas Neues zu schaffen. Deshalb entschied man damals, sich unter anderem mit Diversity auseinanderzusetzen. Es entstand eine neue Unternehmenskultur, die bis heute sehr gut funktioniert. Grund für dieses gute Gelingen ist die Lernfähigkeit des gesamten Organismus. Viele Menschen, auch im Management, begehen Fehler. Diese Fehler wurden und werden aber auch korrigiert. Ich betrachte die Novartis in dieser Beziehung als sehr lernfähig. „Corrective actions“ sind immer sehr schnell eingeleitet worden. Ich kann das mit einem Beispiel illustrieren: Man war beim Merger anfänglich der Meinung, dass die Vergangenheit der beiden zu fusionierenden Unternehmen ausgeschaltet werden sollte. Man wollte damit ein grünes Feld schaffen, auf dem beide Unternehmen etwas Neues aufbauen konnten. Bald jedoch erkannte man, dass es nicht möglich war, die Vergangenheit der beiden Unternehmen einfach auszublenden. Man gestand ein, dass man einen Fehler gemacht hatte und korrigierte diesen umgehend. So blickte man doch mit Stolz zurück und suchte die Stärken jedes Unternehmens. Es fand ein Paradigmenwechsel statt. Für einen solchen braucht es die Fähigkeit, umdenken zu können.

Dueblin: Wie sehen Sie das Diversity Management in der Schweizer Politik?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Die Schweiz befindet sich in einem Prozess, in dem sie erkennt, dass aus Verschiedenartigkeit auch Ressourcen für unser Land resultieren. Wir können diese wirtschaftlich nutzen, so wie dies erfolgreiche Unternehmen tun. Dabei kommt es immer darauf an, wie positiv die Ressourcen dargestellt werden. Es darf dabei aber sicher nicht ausgeblendet werden, dass ein Kulturenmix auch Gefahren mit sich bringen kann. Im wirtschaftlichen Kontext geht es vor allem um Führungsverhalten, um die Art und Weise, wie man zusammen arbeiten und ein gemeinsames Ziel erreichen möchte. In der Politik sind es dagegen mehr Themen wie die Integrationspolitik oder die Altersstrategie der Schweiz. Das Alter ist eine Diversity-Dimension, die sehr wichtig ist. Es hat unter anderem auch grosse Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem. Es stellt sich beispielsweise die Frage, wie wir in unserer Gesellschaft mit den wachsenden Demenzfällen umgehen wollen. Diese Frage tangiert den Pflegebereich bis auf die Gemeindeebene. Auch die sexuelle Orientierung ist ein Diversity-Thema, mit dem sich die Schweiz noch offener auseinandersetzen könnte.

Wie soll man diese Themen in der Politik angehen? Bei einem Unternehmen handelt es sich um eine Profit-Organisation. Sie ist viel flexibler und kann viel schneller agieren als ein ganzes Land. Im Übrigen gehen im öffentlichen Bereich die Diversity-Fragen weiter und sind in der Regel auch komplexer. Die Kohäsion innerhalb der Gesellschaft hat im öffentlichen Bereich einen viel höheren Stellenwert als in einem Unternehmen. Denken Sie beispielsweise an Low Performer. Diese können in einem Unternehmen ersetzt und ausgetauscht werden. In der Gesellschaft muss man sich dagegen fragen, wie man auch leistungsschwache und verhaltensauffällige Menschen integriert. Einen weiteren Unterschied sehe ich in der zeitlichen Komponente. Eine Kulturveränderung kann man in einem Unternehmen innerhalb weniger Jahre herbeiführen. In einem Land jedoch dauert eine kulturelle Veränderung Jahrzehnte und zieht sich oft über ganze Generationen hinweg.

Dueblin: Eine Diversity Komponente ist das Geschlecht. Die Wirtschaftskrise, so liest man in den Medien, könnte sich gerade für Frauen mit Teilzeitpensen schwerwiegender auswirken als für Männer.

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Dieses Cliché kann ich nicht bestätigen. Die Frauen sind von der Wirtschaftskrise im Moment nicht mehr betroffen als die Männer. Ich halte mich auch in dieser Frage an die Fakten. Die neusten Zahlen des Seco zeigen, dass zurzeit vor allem Männer vom Stellenabbau betroffen sind. Im Übrigen muss man in jedem Betrieb untersuchen, wie die Alters- und Geschlechterverteilung aussieht und wo genau abgebaut wird. Werden beispielsweise im Dienstleistungssektor oder in der Administration eines Unternehmens Stellen abgebaut, dann trifft es in der Regel mehr Frauen als Männer. Wenn aber produzierende Firmen Stellen abbauen, sind ungleich mehr Männer vom Abbau betroffen. Im Moment leidet der Export am meisten unter der Krise. Ebenso muss man anschauen, wie die Nationalitäten- und die Bildungsverteilung aussieht. Erst wenn man diese Fakten zusammen hat, kann man zuverlässige Aussagen machen. Sie sehen, es kommt bei der Beantwortung dieser Frage meine wissenschaftliche Ausbildung zum Vorschein. Wir Wissenschaftler sind es uns gewohnt, Probleme sehr analytisch anzugehen.

Dueblin: Gerade bei Abbauprojekten spielen Diversity und Selbstreflexion auf der Arbeitgeberseite eine grosse Rolle. Was können Sie Menschen empfehlen, die heute aufgrund der Wirtschaftskrise mit Abbauprojekten betraut sind?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Die Menschen, die Abbauentscheide treffen, sollten fähig sein, den Hintergrund ihrer Entscheide zu erkennen und zu hinterfragen. Denn ein Unternehmen trägt auch eine soziale Verantwortung. Es gilt zu überlegen, wer überhaupt eine neue Stelle finden kann und wer nicht. Auch solche Kriterien müssen genau betrachtet werden. Wichtig ist zudem der Begleitprozess, wenn Angestellte ein Unternehmen verlassen müssen. In der Novartis gibt es dafür eine Outplacement-Unterstützung, die betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleitet.

Dueblin: Sie kommen aus der Forschung und sind in einem innovativen Umfeld gross geworden. Der Forscher Prof. Dr. Gottfried Schatz hat im Gespräch mit Xecutives.net bedauert, dass Menschen aus Ihrem Umfeld zu wenig im Parlament vertreten sind. Geht es Ihnen auch so?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Das ist richtig. Oft fühlt man sich als Wissenschaftlerin im Parlament etwas einsam. Ich spüre das beispielsweise bei der Patentfrage, wenn ich klar machen will, dass wir in der Schweiz nichts anderes anzubieten haben als Bildung und Forschung, um uns Wohlstand zu bringen. Das Nachdenken über Lösungen und das Kreativsein muss sich für ein Unternehmen lohnen. Sonst wird unser Wirtschaftssystem geschwächt. Ich bemerke das auch in der Auseinandersetzung mit modernen Technologie. Denken Sie an die Diskussion über die Verlängerung des Gentech-Moratoriums, die im Parlament und im Bundesrat zurzeit stattfindet. Mit dem Moratorium wollte man während 5 Jahren die Forschung weiterlaufen lassen, jedoch eine kommerzielle Nutzung der Resultate aus Sicherheitsgründen verhindern. Durch das Moratorium kommt es zu einer ganzen Kaskade von negativen Auswirkungen für die Forschung und die Wirtschaft in der Schweiz. Das ist keine gute Entwicklung, in einem Land, das innovativ und fortschrittlich sein will. Die Befindlichkeit der Menschen in der Pflanzenforschung hat sich aufgrund des Moratoriums deutlich verschlechtert. Es sind erst kürzlich Feldversuche in Reckenholz mutwillig zerstört worden. Ausserdem sind in der Schweiz Dissertationen und Forschungsprojekte nicht in Angriff genommen worden, die wesentliche Grundlagen für die Forschung darstellen. Das sind schlechte Voraussetzungen für eine gesunde Forschung und für den Wirtschaftsplatz Schweiz. Oft findet man als Naturwissenschafterin in solchen Fragen keine Unterstützung. Ich kann Professor Gottfried Schatz somit gut verstehen. Es geht um das Vorausdenken über einen Zeithorizont von 10 bis 20 Jahren und nicht nur über die eigene Wahlperiode. Etwas mehr Forschergeist wäre im Parlament sicher angesagt und von Vorteil für die Schweiz. Eine leitende Funktion zu haben und im Parlament zu sein, ist aber schwierig. Der Status der Politik ist in den letzten Monaten wohl etwas gestiegen. Aber die Wirtschaft war sehr dominant und ist es nach wie vor. Viele Menschen wollen sich auf ihren Job konzentrieren. Die Verfügbarkeit für politische Ämter ist kleiner geworden. Man muss beruflich viel reisen und stets flexibel sein. Ein politisches Amt ist dann oft ein Hindernis, das man sich nicht zumuten möchte.

Im Übrigen bereitet es mir als Naturwissenschafterin Sorgen, dass die Naturwissenschaften in der Bildung zurückgedrängt worden sind. Diese Fächergewichtung muss man korrigieren. Es ist meines Erachtens gefährlich, wenn die Schweiz an den eigenen Stärken sägt. Es braucht Menschen, die Verständnis für naturwissenschaftliche Fragen haben und die Zusammenhänge sehen. Die Schweiz ist in der Pflanzentechnologie, der Biotechnologie und der Nanotechnologie an vorderster Stelle mit dabei. Damit das so bleibt, müssen wir aber etwas tun. In Bezug auf die Umwelttechnologien hat die Schweiz bereits an Stärke und Stellenwert verloren und den Anschluss schlicht verpasst. Andere Länder sind uns weit voraus. Das könnte in der Gen- oder Biotechnologie auch bald passieren. Meines Wissens gibt es in der grünen Gentechnologie keine Dissertationen mehr, die von Schweizern bearbeitet werden. Das sind klare Indikatoren dafür, dass etwas schief läuft und wir auch dort den Anschluss verpassen. Ist der Zug aber einmal abgefahren, ist es unendlich schwierig, wieder aufzuholen. Es ist wie im Sport, wir sind nicht überall gut. Wir können nicht überall gut sein, sollten aber die Stärken fördern. Die Schweiz ist sehr ausgleichend veranlagt. Das hat Vor- und Nachteile. Die Hierarchien sind im Gegensatz zu anderen Ländern flach. Das ist sehr schön, kann aber auch dazu führen, dass keine mutigen und grossen Entscheide getroffen werden.

Dueblin: Was wünschen Sie der Schweiz als Parlamentarierin, Familienfrau und Vertreterin eines Unternehmens der Privatwirtschaft?

Dr. Kathrin Amacker-Amann: Ich wünsche mir mehr positives Denken und mehr Optimismus. Ich wünsche mir eine „can do“-Mentalität. Die Welt ist, wie wir sie uns denken. Was wir denken, wird Realität. Das zeigt die Geschichte, auch in der Schweiz. Wir sollten deshalb offener und positiver an Probleme herantreten.

Dueblin: Sehr geehrte Frau Dr. Amacker-Amann, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.

(C) 2009 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.

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